Geert Wilders in der Regierung:Geduldet und gefährlich

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Nur ein Puppenspieler? Bloß Vorteile, keine Nachteile? Die Niederlande debattieren, wie riskant es ist, dass der Rechtspopulist Geert Wilders bald in der Regierungspolitik mitmischen darf.

Thomas Kirchner

Wie gefährlich ist Geert Wilders wirklich? Und wie riskant ist es, den Chef der Freiheitspartei, der den Koran verbieten und eine Steuer auf Kopftücher einführen will, mitregieren zu lassen? Fragen, die viele Niederländer in diesen Tagen umtreiben. Denn Wilders hat es geschafft: Er sitzt am Tisch, wenn Mark Rutte, der rechtsliberale Wahlsieger, und der Christdemokrat Maxime Verhagen in den kommenden Wochen über eine Koalition verhandeln. Ihre beiden Parteien haben zusammen nur 52 von 150 Sitzen im Parlament, trotzdem wollen sie eine Minderheitsregierung bilden, die sich von Wilders tolerieren lässt. Dessen PVV, die sich bei der Wahl am 9.Juni von neun auf 24 Sitze verbesserte, stellt zwar keinen Minister, kann aber die Regierung jederzeit scheitern lassen.

Eine "fruchtbare Lösung" unter Beteiligung von Rechtspopulist Geert Wilders? Die Niederlande streiten sich, ob es das geben kann. (Foto: dpa)

In die Wege geleitet wurde dieses Bündnis von Alt-Premier Ruud Lubbers, den Königin Beatrix zum Informateur ernannt hatte. Das sind Politiker, die eine Regierung ausfindig machen sollen, die, so der Auftrag, "auf eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Parlament zählen" kann. Keine Lösung lag auf der Hand, alle möglichen Kombinationen der zehn im Parlament vertretenen Parteien waren denkbar - wie oft in den Niederlanden, wo eine Regierungsbildung im Schnitt fast drei Monate dauert. Eine Koalition von Rechtsliberalen, Christdemokraten und PVV scheiterte zunächst, weil Verhagen vor einer Allianz mit Wilders zurückscheute. Doch ein Bündnis der Rechtsliberalen mit Sozialdemokraten, Linksliberalen und Grünen kam ebenso wenig zustande wie eine gelb-schwarz-rote Koalition der Mitte, die der sozialdemokratische Spitzenkandidat Job Cohen nicht wollte.

Blieb also nur die jetzige Lösung, eine vermutlich eher instabile Formation? So stellt es Lubbers dar. Die Linke wirft ihm vor, sich nicht intensiv genug für eine Mehrheitsregierung eingesetzt zu haben. Vor allem aber warnt sie vor Wilders. Der habe allen Grund, zufrieden zu sein, schimpfte Cohen in einer Parlamentsdebatte. Er sei jetzt der Puppenspieler, könne hinter den Kulissen die Fäden ziehen, "mit allen Vorteilen, aber keiner Verantwortung". In der Wut schwang Enttäuschung mit, denn Cohen gilt als der Verlierer der vergangenen Wochen. Ihm werden sogar aus der eigenen Partei Anfängerfehler angekreidet: Mit seiner Verweigerungstaktik habe er alle Chancen vergeben, obwohl die Sozialdemokraten nur einen Sitz weniger haben als die Rechtsliberalen.

Dieser Vorwurf trifft nur zum Teil zu, weil Rutte von vornherein sichtlich auf eine Rechts-Regierung zusteuerte. Er und Verhagen müssen nun sowohl einen Koalitionsvertrag miteinander als auch einen "Duldungsvertrag" mit Wilders schließen. Bereits beschlossen wurde, in der kommenden Legislaturperiode 18Milliarden Euro einzusparen; an welcher Stelle, ist offen. Beim heiklen Thema Islam einigte man sich darauf, uneinig zu sein. Für Rutte und Verhagen handelt es sich um eine Religion, die entsprechenden Schutz genießt, für Wilders um eine Ideologie, die es zu bekämpfen gilt.

Der PVV-Chef hält ein großes Arsenal an radikal islamfeindlichen Forderungen bereit; wie viel er davon unbedingt durchsetzen will, bleibt abzuwarten. Bei den Christdemokraten, die über die Zusammenarbeit noch auf einem Parteitag abstimmen, wird er schnell an eine Schmerzgrenze stoßen. Einen Vorgeschmack lieferte die prompte Reaktion auf sein Vorhaben, am 11. September in New York bei einer Protestveranstaltung gegen den geplanten Bau einer Moschee in der Nähe von Ground Zero aufzutreten. Das sei riskant, warnte der Christdemokrat Hans Hillen, schließlich wäre Wilders doch irgendwie Teil der Regierung und spräche dann für sein Land.

Wie groß also ist der Schaden, den Wilders als Dulder der Regierung anrichten könnte? Die Öffentlichkeit ist geteilt. Es gibt Kassandra-Rufer wie jene Intellektuellen, die Wilders in einem offenen Brief als Feind des Rechtsstaats bezeichnen, der gleich mehrere Grundrechte in Frage stelle: das Gleichheitsgebot sowie die Religions- und die Meinungsfreiheit. Wilders verfüge über ein großes Erpressungspotential, warnt der linksliberale Staatsrechtler Jan Vis, niemand werde seinen Parolen noch entschlossen entgegen treten wollen. Andere beschwichtigen, Wilders werde sich mäßigen, um einen Teil seines Programms durchbringen zu können. Die Zusammenarbeit in der Regierung werde die Ideologie der PVV "erträglicher" machen, meint der Geistesgeschichtler Frank Ankersmit. "Der Rechtsstaat ist der große Gewinner."

© SZ vom 09.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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