Gedenkstätte Auschwitz:"Der Diebstahl ist eine Entweihung"

Symbol der Vernichtung und des Widerstandes: Der Diebstahl des Schriftzuges "Arbeit macht frei" empört nicht nur die Politiker. Zahlreiche Ex-Häftlinge des KZ sind verzweifelt.

Als Symbol von Nazi-Terror und Holocaust ist Auschwitz ein wichtiger Gedenkort für Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Gut einen Monat vor dem 65. Jahrestag der Befreiung letzter Überlebender des deutschen NS-Konzentrationslagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 versetzte nun ein dreister Diebstahl die Weltöffentlichkeit in einen Schock. Unbekannte hatten in der Nacht zum Freitag vom Eingangstor des Stammlagers den historischen Schriftzug "Arbeit macht frei" entwendet.

Gedenkstätte Auschwitz: Der Schriftzug "Arbeit macht frei" ist Symbol der Vernichtung und des Widerstandes.

Der Schriftzug "Arbeit macht frei" ist Symbol der Vernichtung und des Widerstandes.

(Foto: Foto: Reuers)

"Das ist kein Diebstahl, das ist eine Entweihung dieses Ortes", sagte Museumssprecher Pawel Sawicki. Seit frühem Morgen werde sie von verzweifelten Ex-Häftlingen angerufen, berichtete die Vorsitzende der Auschwitz-Gesellschaft Stefania Koziol. Sie wollten nicht glauben, dass sich jemand an diesem "weltweit größten Friedhof ohne Gräber" vergriffen hat. Das sei ein brutaler Raub gewesen, der hart bestraft werden müsse, forderte Koziol. Denn die Aufschrift über dem Tor, durch das Häftlinge ins Lager getrieben worden waren, galt nicht nur als Symbol der Vernichtung, sondern auch des Widerstandes.

Das B im Wort Arbeit wurde von den polnischen Häftlingen, die die Aufschrift auf SS-Befehl anfertigten, auf den Kopf gestellt. Es habe als ein Zeichen des Widerstandes gegolten und die Häftlinge zum Überleben ermuntert, erläuterte Sawicki. Ob das B absichtlich oder zufällig so angebracht wurde, lasse sich heute nicht mehr feststellen.

Erschüttert zeigte sich Polens Staatspräsident Lech Kaczynski. Nur ein Verrückter könnte solche Tat begehen, sagte Kaczynskis Sprecher. Das Museum sei als Holocaust-Symbol "unantastbar".

Polens Deutschlandbeauftragter, Ex-Auschwitz-Häftling Wladyslaw Bartoszewski, nannte die Tat eine "Schande". Ministerpräsident Donald Tusk ordnete "schnellstmögliche Aufklärung" an. Das habe absolute Priorität, betonte Regierungschef.

Der polnische Oberrabbiner Michael Schudrich bezeichnete die Tat als Schändung eines immens wichtigen Denkmals. "Wenn das Witzbolde waren, dann kranke Witzbolde - oder jemand mit einem politischen Hintergrund".

Europaparlamentspräsident Jerzy Buzek appellierte an die Täter, den Schriftzug aus Respekt vor den Opfern zurückzugeben. Auschwitz sei der größte Friedhof der Menschheit. Das Andenken der Toten sei durch den Diebstahl entweiht worden, so der polnische Politiker.

Der Leiter der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem, Avner Schalev, sagte, er sei schockiert über eine solche "Attacke gegen die Erinnerung an den Holocaust". Zwar seien die Hintergründe noch nicht geklärt, doch offensichtlich handele es sich um einen "Ausbruch jener Elemente, die uns zu dunkleren Tagen zurückkehren" lassen wollten.

Das Auswärtige Amt verurteilte den Diebstahl des Schriftzuges. "Wir hoffen, dass die Tat schnell aufgeklärt und der entstandene Schaden an der Gedenkstätte behoben werden kann", sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Andreas Peschke. "Im Bewusstsein seiner historischen Verantwortung unterstützt Deutschland den Erhalt der Gedenkstätte Auschwitz." Kurz vor dem 65. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz hatten Unbekannte am Freitagmorgen den stählernen Schriftzug gestohlen.

Polnische Polizei in der Kritik

Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums erklärte, die Regierung sei "erstaunt und erbost". Das Schild sei ein abschreckendes Zeugnis der grauenhaften Verbrechen, die in dem Lager begangen wurden, zitiert die Zeitung Haaretz den Sprecher.

Israels Diaspora-Minister Juli Edelstein sprach laut Jerusalem Post von einem "kritischen Versagen der polnischen Polizei". Die Tat falle in eine Zeit, in der antisemitische Handlungen zunähmen; es gebe begründete Sorge um die Sicherheit von Juden in der Diaspora.

Trotz intensiver Polizeiarbeit fehlte aber von den Tätern zunächst jede Spur. Für Museumsmitarbeiter stand aber vom Anfang an eins fest: Es handelte sich nicht um eine Tat von Schrottdieben, die Eisengegenstände klauen, um Geld für Alkohol zu gewinnen. Museumssprecher Jerzy Mensfeldt bewertete den Einbruch als "gut vorbereitet". "Das hat jemand getan, der gut wusste, was er will", sagte er.

Die Frage, wie mindestens drei - wie die Polizei vermutet - Diebe unbemerkt das Stahl-Element am zentralen Museumsort abmontieren und wegschaffen konnten, beschäftigte seit dem Morgen die Ermittler und Medien.

Wie der Fernsehsender TVP-Info berichtete, habe eine am Eingangstor angebrachte Kamera das Geschehen nur direkt übertragen können, ohne es aufzuzeichnen. Zudem sei der Ort zu schlecht beleuchtet, als das die Bilder hätten polizeilich genutzt werden können. Die Beleuchtung stamme noch aus den 1940er Jahren, hieß es bei TVP-Info.

Auch die Zahl der Wächter für das 200 Hektar große Gelände soll unzureichend gewesen sein. Museumsbesucher schimpften inzwischen auf das Wachpersonal. Die Wächter hätten tief geschlafen, kein Wunder, es sei eine kalte Nacht gewesen, sagte ironisch ein Mann in die Kamera.

Weil es eine heiße Spur fehlte, spekulierten Fernsehen und Rundfunk in Polen wie wild über den Hintergrund der Tat. Die Rede war vom "Diebstahl auf Bestellung" oder sogar von einer Aktion der Neonazis, die angeblich auf sich aufmerksam machen wollten. Doch Beweise oder wenigstens Anhaltspunkte für diese Theorien gab es nicht.

In Auschwitz und in benachbartem Vernichtungslager Birkenau hatten die Nationalsozialisten in den Jahren 1940-1945 mindestens 1,1 Millionen Menschen ermordet. Die Mitarbeiter der Gedenkstätte, die jährlich von rund einer Million Menschen besucht wird, lassen sich durch dem dreisten Diebstahl und die laufende Polizeiermittlungen in ihrer Arbeit nicht behindern.

Die entwendete Aufschrift wurde schnell durch eine Kopie ersetzt. Das Museum bleibe für Besucher offen, sagt Mensfelt. Er hoffe, dass die Täter gefasst und die Original bald an seinen Platz zurückkehre.

Im Video: Unbekannte haben das berüchtigte Schild mit den Worten "Arbeit macht frei" entwendet. Holocaust-Überlebende reagieren mit Empörung.

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