Süddeutsche Zeitung

Franziskus über Genozid an Armeniern:Davutoğlu: Papst schürt Islamophobie

  • Krise zwischen Ankara und dem Heiligen Stuhl in Rom: Nachdem Papst Franziskus in einer Gedenkmesse das Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren als Völkermord bezeichnet hat, zeigt sich die Regierung in Ankara erbost.
  • Ministerpräsident Davutoğlu hat die Äußerungen des Papstes als "unangemessen" und "einseitig" verurteilt. Indirekt warf er Franziskus vor, mit seinen Äußerungen Islamfeindlichkeit Vorschub zu leisten.
  • Das türkische Außenministerium warnte vor "irreparablen Konsequenzen", bestellte den Botschafter des Vatikan in das Außenministerium und beorderte den eigenen Botschafter im Vatikans "zu Konsultationen" nach Ankara.
  • Auch 100 Jahre nach den Morden und Verschleppungen von bis zu 1,5 Millionen Armeniern ist das Thema in der Türkei weiterhin brisant - den Begriff "Völkermord" lehnen die Türken nach wie vor ab.

Türkei nennt Worte des Papstes "unakzeptabel"

Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoğlu hat die Äußerungen von Papst Franziskus zu den Massakern an den Armeniern als "unangemessen" und "einseitig" kritisiert. Leider stünden die Bemerkungen des Papstes nicht im Einklang mit dessen Forderung nach Versöhnung, die er während seines Besuchs in der Türkei im November erhoben habe, sagte Davutoğlu am Sonntagabend im Fernsehen. Er hoffe, dass Franziskus seine Haltung revidieren werde. Religiöse Führer sollten zum Frieden aufrufen und nicht der in Europa dominierenden Islamfeindlichkeit Vorschub leisten, erklärte Davutoğlu.

Zuvor hatte das Außenministerium in Ankara die Worte des Papstes als "unakzeptabel" bezeichnet. Zudem warnte es den Vatikan davor, "Schritte vorzunehmen, die irreparable Konsequenzen für unsere Beziehungen haben könnten." Vom Pontifikat werde erwartet, zum Weltfrieden beizutragen, statt Feindseligkeiten über historische Ereignisse zu schüren, hieß es weiter.

Die Türkei, die es als Rechtsnachfolgerin des osmanischen Imperiums ablehnt, von Genozid zu sprechen, bestellte am Sonntag den Vatikan-Botschafter (Apostolischer Nuntius) ins Außenministerium in Ankara ein. Kurz darauf beorderte das Ministerium auch den türkischen Botschafter beim Vatikan zu Konsultationen nach Ankara zurück. Das meldete die regierungsnahe türkische Nachrichtenagentur Anadolu.

Gedenkmesse im Petersdom für ermordete Armenier

Papst Franziskus hat die Massaker an den Armeniern als Völkermord bezeichnet. In einer Sondermesse für armenische Katholiken in der Basilika des Petersdomes sagte der Papst, im vergangenen Jahrhundert habe es "drei gewaltige und beispiellose Tragödien" gegeben. Die erste dieser Tragödien, die "weithin als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts gilt", habe das armenische Volk getroffen. Die beiden anderen Völkermorde des 20. Jahrhunderts seien schließlich "von Nationalsozialismus und Stalinismus" begangen worden.

In jüngerer Vergangenheit habe es aber noch weitere Massenmorde gegeben, etwa in Kambodscha, Ruanda, Burundi und Bosnien. Die Menschheit sei offenbar nicht dazu in der Lage, "dem Vergießen von unschuldigem Blut ein Ende zu setzen", sagte Franziskus.

Armenischer Präsident sieht "starkes Signal"

Der armenische Präsident Sersch Sargsjan lobte die Äußerungen des katholischen Kirchenoberhaupts als "starkes Signal" an die internationale Gemeinschaft, dass ein Völkermord, der nicht verurteilt werde, eine "Gefahr für die ganze Menschheit" darstelle. Sargsjan nahm an dem Gottesdienst zur Erinnerung an die Gräueltaten an den Armeniern im Petersdom teil. Neben ihm war auch der armenisch-katholische Patriarch Nerses Bedros XIX. Tarmouni anwesend. Ob der Papst den Begriff Völkermord bei der Messe benutzen würde, war mit besonderer Spannung erwartet worden.

Der türkische Präsident hatte erst im vergangenen Jahr zum ersten Mal sein Mitgefühl geäußert

Zum Massenmord an den Armeniern hatte sich Franziskus' Vorvorgänger Papst Johannes Paul II. ganz ähnlich geäußert. In einer gemeinsamen Erklärung mit dem armenisch-apostolischen Patriarchen (Katholikos) Karekin II. 2001 ließ er verlauten: "Die Ermordung von eineinhalb Millionen Christen ist das, was generell als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird."

Am 24. April 1915 begann die damalige Regierung des Osmanischen Reiches mit der Verhaftung der Armenier. Nach unterschiedlichen Schätzungen kamen bei den Deportationen 1915 und 1916 zwischen 200 000 und 1,5 Millionen Menschen ums Leben. Die Türkei weist den Begriff des Genozids zurück und setzt die Zahl der Opfer deutlich niedriger an als Armenien. Vergangenes Jahr hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan den Armeniern jedoch erstmals sein Mitgefühl ausgedrückt.

Am 24. April gedenkt die Ex-Sowjetrepublik Armenien der Gräueltaten, die vor 100 Jahren begannen.

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