Süddeutsche Zeitung

Gedenkfeier zum D-Day:Der kürzeste Tag der Diplomatie

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Nur ein paar diplomatische Minuten wirft der 70. Jahrestag der Landung in der Normandie ab. Putin spricht mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko, und auch mit Obama soll es ein kurzes Treffen gegeben haben. Doch der Tag gehört der Geschichte.

Von Christian Wernicke, Paris

Es ist eine rührende Szene, und eine großzügige dazu. Über eine halbe Stunde lang haben mehr als 400 professionelle Tänzer und Laien auf dem Strand von Ouistreham in der Normandie soeben den Horror des Krieges inszeniert. Sie haben kunstvoll die Geschichte des D-Days nacherzählt, haben Soldaten und Zivilisten, Tote wie Überlebende dargestellt. Nun treten, als zum Schluss die Europahymne ertönt, zwei alte Männer in den Mittelpunkt. Es sind Johannes Börner (89), der vor 70 Jahren als deutscher Besatzer in der Normandie kämpfte, und Léon Gautier (91), der französische Freiwillige, der am 6. Juni 1944 den Strand hinauf gestürmt war, um seine Nation befreien. Barack Obama und Wladimir Putin, François Hollande wie Angela Merkel - alle 8000 Zuschauer erheben sich und klatschen, während sich die beiden greisen Veteranen umarmen. Es ist dieses Signal der Versöhnung, das Frankreichs Regie ans Ende der seit dem Morgen währenden Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie setzt. Eine schöne Geste. Da wirkt, für einen Moment, die Macht der Bilder. So, wie schon immer Fotos und Filme die Saga vom D-Day geprägt haben, allen voran der Klassiker "Der längste Tag". Der reizt bis heute zu Wortspielen. Die Normandie, so raunt ein französischer Diplomat am Morgen, könne "den längsten Tag der Diplomatie" erleben. Es gebe die Chance, die Krise in der Ukraine und Russlands hegemoniale Allüren zu beraten.

Putin und Poroschenko kommen ins Gespräch

Doch daraus wird nichts. Nur ein paar diplomatische Minuten wirft der lange Tag ab. Gegen Mittag, da François Hollande seine hohen Gäste im prächtigen Schloss von Bénouville auf die Terrasse zum Familienfoto bittet, da passiert es. Auf dem Rückweg hinein zum Mittagessen begegnen sich am Seiteneingang der Russe Wladimir Putin und Petro Poroschenko, der neu gewählte Präsident der Ukraine. Angela Merkel steht daneben, sieht zu, wie die beiden Kontrahenten ins Gespräch kommen. Immerhin. Ein Zeichen des Friedens an einem Jahrestag des totalen Krieges? Wie belastbar der neue Dialog zwischen Putin und Poroschenko ist, müssen die Tage danach erweisen. Ein französischer Diplomat raunt den Journalisten später zu, die beiden Männer hätten "über eine Deeskalation" gesprochen. Und Putin habe erstmals die Wahl des Ukrainers anerkannt.

Auch ein anderer Kontakt begann in der Normandie. Aber er war noch kürzer. Ein Obama-Berater bestätigt am Nachmittag, sein Präsident habe für einige Augenblicke mit Putin gesprochen - "rein informell". Gesehen hat das niemand, das wollte Obama nicht. Der US-Präsident habe Russlands Staatschef zum Kurswechsel aufgefordert und andernfalls Konsequenzen angedeutet, erklärt sein Vize-Sicherheitsberater später.

Zu beobachten war in Bénouville nur, wie krampfhaft sich Obama mühte, Putin zu meiden. Beim Familienfoto lächelte der Amerikaner stramm geradeaus. Kein Blick nach links, wo Putin stand. Später, im Speisesaal zu Tisch, ein ähnliches Bild: Das Protokoll hatte Obama und Putin an der Stirnseite des U-förmigen Tisches platziert. Beide plauschten eifrig mit ihren jeweiligen Nachbarinnen: Obama mit Britanniens Königin Elisabeth II., die nebenbei ihren grünen Hut zurechtrückte. Und Putin mit Margrethe II. von Dänemark, der Dame in Blau. Als zusätzlicher Schutzwall saß noch Gastgeber Hollande zwischen beiden.

Schon am Vormittag hatte Barack Obama signalisiert, dass der 6. Juni 2014 für ihn kein Tag der Krisendiplomatie, sondern ein Datum allein der Erinnerung und der Geschichte sei. Auf dem Soldatenfriedhof von Colleville-sur-Mer suchte er die Nähe zu seinen Helden, zu jenen Landsleuten, die vor siebzig Jahren nach der Landung am Omaha-Beach ins Sperrfeuer gerieten. Der US-Präsident preist das Vermächtnis der Veteranen: "Wann immer ihr die Hoffnung verliert - denkt an diese Männer!", schallt seine Stimme über die Gräber mit den schlichten Kreuzen, "Wann immer euch die Welt zynisch stimmt - haltet ein und denkt an diese Männer!"

Hollande dankt den USA

Auch Hollande verneigt sich auf dem US-Friedhof in seiner Rede vor den amerikanischen Veteranen: "Frankreich wird nie vergessen, was es den Vereinigten Staaten schuldet". Dann vergleicht Hollande die 100-tägigen Kämpfe um die Normandie mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941: "Ich bin in Rouen geboren, einer Stadt, die während der Schlacht zerstört wurde", sagt der Franzose, "und Sie, Herr Präsident, sind in Hawaii geboren, einem Bundesstaat, der vom Krieg schwer getroffen wurde." Bundeskanzlerin Merkel würdigt in der Stadt Ranville den Einsatz der ehemaligen Gegner. Die Deutschen könnten dankbar sein, "dass die Alliierten solche Opfer erbracht haben, um eines Tages die Befreiung vom Nationalsozialismus durchzusetzen." In Caen hatte Hollande früher am Tag an die zivilen Opfer erinnert, die in der Schlacht um die Normandie 1944 ihr Leben verloren. Lange war es beinahe ein Tabuthema in Frankreich, dass die Befreier zur tödlichen Bedrohung wurden. Allein am D-Day starben im Hinterland der Küste 3000 Menschen, zumeist Opfer alliierter Bomben, die den deutschen Nachschub stoppen sollten. Der D-Day sei "in Blut und Tränen" ausgeklungen, sagte Hollande.

Später sucht der Präsident das Gespräch mit Überlebenden. Er hält Hände, küsst die greisen Zeitzeugen. Und er spricht ihnen Mut zu, nicht zu schweigen: "Es ist wichtig, dass Sie der jungen Generation von diesem Horror erzählen."

Johannes Börner und Léon Gautier tun das. Die Freunde, die heute beide in Ouistreham leben, haben erst neulich ihre Botschaft vor einer Schulklasse vorgetragen: "Nie wieder!"

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Quelle:
SZ vom 07.06.2014
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