Gedenken:Trier ist durchaus stolz auf seinen umstrittensten Sohn

  • Karl Marx ist der berühmteste und zugleich der umstrittenste Sohn Triers.
  • Zu seinem 200. Geburtstag wird am Wochenende eine Ausstellung über sein Leben und Werk eröffnet, eine Statue eingeweiht, Ministerpräsidentin Dreyer spricht ein Grußwort.
  • Früher hatte sich die Stadt mit Marx noch deutlich schwerer getan. Dass das jetzt anders ist, liegt an politischen Entwicklungen einerseits - und andererseits auch an Touristen aus China.

Von Susanne Höll, Mainz

Nicht alle Menschen in und um Trier herum freuen sich von Herzen auf die große Sause am Wochenende, wenn dem berühmtesten und umstrittensten Sohn der Stadt gedacht wird. Zum 200. Geburtstag von Karl Marx wird am Wochenende die Ausstellung über sein Leben und Wirken eröffnet.

Der Mann wird nicht bejubelt, aber immerhin geehrt, ausgerechnet im katholischen und konservativen Trier, wo man den Philosophen lange gar nicht schätzte. Vor 50 Jahren waren die allermeisten Bürger entsetzt über den vergleichsweise spärlichen, aber kuriosen Auftrieb. Der Blick auf Marx ist milder geworden, da sind sich unterschiedliche, aber allesamt namhafte Trierer einig.

Vor einem halben Jahrhundert noch erschütterte das Gedenken an den Philosophen die beschauliche Stadt. Die SPD lud damals zur Eröffnung des Karl-Marx-Museums mit Willy Brandt. Kommunisten aus Deutschland, der DDR, der Sowjetunion und anderer realsozialistischer Regime organisierten ihr eigens Memorial. In den Straßen demonstrierten Studenten der APO. Mit verschränkten Armen verfolgten Einheimische das Spektakel. 50 Jahre später gibt es einen Festakt, Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) spricht ein Grußwort. Was, bitte schön, hat sich in Trier geändert?

Das Ende des Ost-West-Konflikts zeigt auch an der Mosel Wirkung

Dreyer, verheiratet mit Triers Ex-Oberbürgermeister Klaus Jensen, lebt seit gut 14 Jahren in Trier, ist Sozialdemokratin, Katholikin und erklärte Feministin, mithin eine Frau, die einige Differenzen mit dem Philosophen auszutragen hätte. Stimmt, sagt die Ministerpräsidentin. Und fügt hinzu: "Das Verhältnis hat sich entspannt, auch wenn die Statue für heftige Diskussionen gesorgt hat."

Das Kunstwerk ist ein Geschenk Chinas, ohne Sockel 4,40 Meter hoch und hat für leidenschaftliche Debatten gesorgt. In einstigen Warschauer-Pakt-Staaten wurden solche Ehrenmäler nach 1989 abgerissen. An der Mosel wird die Skulptur am Samstag enthüllt. Verkehrte Welt? Nein, sagt Dreyer. Die Entscheidung im Stadtrat zugunsten der Statue sei mit breiter Mehrheit gefallen. Und viele Trierer seien, unabhängig von ihrer Sicht auf Marx, ein wenig stolz, dass er aus ihrer Stadt stamme.

Das erklärt nicht, warum die Trierer Welt sanfter auf den Denker blickt. Sie verweist auf die Zeitläufte. "Heute, zum 200. Geburtstag, kann man die früher oft queren Debatten über Marx, sein Denken und Werk von der Auslegung seiner Lehren in etlichen Staaten entflechten und ihn sehen und erfahren als Mann seiner Zeit." Die Erfolge der Entspannung, der Wandel in der Sowjetunion unter Michael Gorbatschow und das Ende des Ost-West-Konflikts zeigen Wirkung an der Mosel.

Und was sagt die im Zentralrat der Katholiken aktive Dreyer zu dem Mann, der die Kirche kritisierte? Sie meidet Schärfe, die Rede kommt auf Oskar von Nell-Breuning, den renommierten katholischen Sozialethiker, geboren in Trier, Absolvent des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums, wo auch Marx Schüler war. "Nell-Breuning hat einmal gesagt: 'Wir stehen alle auf den Schultern von Karl Marx.' Wenn ein so bedeutsamer Sozialtheoretiker solche Worte findet, glättet sich manche Diskussion."

Touristen kommen wegen Marx in die Stadt, darunter viele Chinesen

Nein, widerspricht Bernhard Kaster, Trierer, Katholik und bis 2017 CDU-Bundestagsabgeordneter. So einfach sei es nicht: "Es stimmt, dass Nell-Breuning durchaus gute Worte für die Gesellschaftsanalyse von Marx fand. Wahr ist aber vor allem, dass er einmal sagte: 'Karl Marx hat die Welt verändert, aber nicht zum Besseren'". Zwischen der Soziallehre und der Weltsicht von Marx gebe es große Unterschiede, gerade in Sachen Menschenbild, das ist dem Unionspolitiker wichtig.

Kaster kann der neuen Statue in ihrer Form wenig abgewinnen, ist skeptisch, ob die Ausstellung den weltweiten politischen Folgen des Marx'schen Denkens gerecht werden wird. Ihn bewegt, wie er sagt, die Sorge, ob die Bedeutung von Marx losgelöst von den konkreten politischen Konsequenzen seines Werkes verharmlost und den Opfern kommunistischer Regime so neuer Tort angetan wird: "Wer sagt, 'lasst uns den Pulverdampf der politischen Auseinandersetzungen über Marx vergessen', macht es sich zu leicht."

Aber auch Kaster konstatiert, dass sich das Verhältnis der Trierer zu Marx gewandelt hat: "Man ist durchaus stolz auf ihn. Aber ihm wird nicht gehuldigt, er wird nicht verehrt."

Die Wertschätzung für das Geburtstagskind lässt sich, wenigstens zum Teil, auch ökonomisch erklären. Touristen kommen wegen Marx in die Stadt, darunter viele Chinesen. Sie besuchen das Karl-Marx-Haus, kaufen Andenken und die von ihnen geschätzten Kochtöpfe und Messer deutscher Provenienz. Trier ist auch ein Beispiel für Wandel durch Handel.

Versöhnliche Worte der katholischen Kirche

Ein dritter Trierer, Domvikar Hans-Günther Ullrich, hat ein drittes Zitat von Nell-Breuning parat. "1983 beschrieb Nell-Breuning als 93-Jähriger das Verhältnis zu Marx mit den Worten: 'Die katholische Soziallehre sieht in Marx ihren großen Gegner; sie bezeugt ihm ihren Respekt' ", sagt der Vertreter des Bistums Trier. Auch die Kirche, genauer gesagt, deren Führung, hat ihre Sicht auf Marx geändert. Man beteiligt sich mit einer eigenen Ausstellung am Jubiläumsjahr, mit einer Kunst-Präsentation zum Thema Arbeit. Der Wert der Arbeit ist Teilen der Kirche wichtig.

Ullrich kennt sich da bestens aus, in seinem sozusagen ersten beruflichen Leben war er Manager in der Automobil-Zuliefererbranche, bis ihm das Treiben dort zuwider wurde. Seit etlichen Jahren ist er Kleriker, sein Abitur legte er, wen wundert's, am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium ab. Auch sein persönlicher Blick auf Marx hat sich geändert. Früher habe er Analysen von Marx nicht akzeptiert, sagt Ullrich. Und ergänzt: "Aber heute ist für mich klar anzuerkennen: Er hat als erster eine umfassende Theorie über das Thema des Verhältnisses von Kapital und Arbeit vorgelegt."

Die Spitze der katholischen Kirche, namentlich Namensvetter Kardinal Reinhard Marx, hat längst versöhnliche Worte in der Debatte gefunden, die ideologische Differenzen nicht verschweigen. Die katholische Soziallehre hat sich aus der Auseinandersetzung mit Karl Marx entwickelt. Und was meinen die Gläubigen? Manche von ihnen hätten durchaus kritische Fragen, was die Beteiligung der Kirche am Jubiläumsjahr betreffe, antwortet der Domvikar Hans-Günther Ullrich. "Die Beziehung zu Marx ist nicht fraglos, sie ist bis heute begründungsbedürftig."

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