Gedenken auf Hawaii:Warme Worte, kühle Rechnung

Japans Premier Abe spricht den Opfern des Angriffs auf Pearl Harbor sein Beileid aus. Vor allem aber will er die Harmonie mit den USA nicht stören, seinem wichtigsten strategischen Partner im Pazifik.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Der japanische Premier Shinzo Abe hat in Pearl Harbor sein "ewig währendes Beileid" ausgesprochen den "Seelen jener, die hier ihr Leben verloren". Er würdigte auch "all jene tapferen Frauen und Männer, die im Krieg umkamen, der hier seinen Anfang nahm, und schloss auch deren Angehörige ein. Direkter mochte sich Abe nicht äußern; eine Entschuldigung hatte Japans Regierung schon vor dem Besuch in Hawaii ausgeschlossen. Pearl Harbor, das japanische Kampfbomber am 7. Dezember 1941 ohne Kriegserklärung angegriffen hatten, wurde in den USA zum Symbol für die Schrecken des Krieges. Vor allem für ältere Amerikaner ist Pearl Harbor Synonym für die "Infamie" der Japaner, wie Präsident Roosevelt es einst formulierte. 2400 Amerikaner starben bei dem Angriff, 1000 weitere wurden verletzt. Unter dem traumatischen Eindruck entschlossen sich die USA zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg. Abe war merklich bemüht, die Amerikaner mit warmen Worten der Versöhnung zu erreichen.

Der scheidende US-Präsident Barack Obama erwiderte: "Wir können die Geschichte nicht wählen, die wir erben. Aber wir können wählen, welche Lektionen wir aus ihr ziehen." Dann lobte er die Allianz zwischen den USA und Japan, die ein "Eckpfeiler im pazifischen Asien" sei und eine "Kraft des Fortschritts auf der ganzen Welt".

Implizit warnte Obama zudem seinen designierten Nachfolger davor, Hass zu schüren. Obama bemühte sich erkennbar darum, sein Erbe zu verteidigen, das er von Donald Trump bedroht sieht. Welche Ziele Japans Premier mit seiner Hawaii-Reise verfolgte, lässt sich auch daraus ableiten, mit welchen Adjektiven Abe seinen Besuch in Pearl Harbor versehen ließ. Der Besuch sei der erste und historisch, hieß es zunächst - bis Japans Außenministerium kleinlaut einräumen musste, dass vor Abe schon dessen Großvater Nobusuke Kishi sowie zwei japanische Premiers auf Hawaii empfangen wurden. Auch kann man Abes Auftritt in Pearl Harbor nicht mit dem Besuch des US-Präsidenten in Hiroshima vergleichen. Obamas Reise war ein erstmaliges, wenn auch nur implizites Schuldeingeständnis für die Atomangriffe der Siegermacht USA auf japanische Städte. Über die japanische Schuld hat die Weltöffentlichkeit ihr Urteil längst gefällt, und Japan hat dieses Urteil mit dem Frieden von San Francisco 1952 und seinem Bündnis mit den USA akzeptiert. Wenn der japanische Premier sich entschuldigen sollte, und sei es nur implizit, dann weniger für Pearl Harbor, sondern für die japanischen Aggressionen gegen andere asiatische Staaten. In der Heimat hat Abe mit seinen Pearl-Harbor-Besuch ebenso wenig gepunktet. Die Meinung der Älteren steht fest: Die Rechte, Abes Wählerklientel, hält den Besuch für unnötig. Sie behauptet, die USA hätten Japan gezielt in eine Falle gelockt. Den Liberalen hingegen ging die Geste nicht weit genug, sie forderten Worte der Entschuldigung. Viele jüngere Japaner wiederum wissen kaum mehr, wofür Pearl Harbor überhaupt steht. In ihren vom Staat zensierten Geschichtsbüchern finden sich darüber bloß ein paar Zeilen. Abe selbst war es, der in seiner ersten Amtszeit als Premier 2007 die Kontrolle des Staates über die Geschichtsbücher verschärft hat.

Am Weihnachtstag publizierten deshalb 53 Kulturschaffende und Intellektuelle, unter ihnen Oliver Stone und der japanische Philosoph Tetsuya Takahashi, einen offenen Brief an Abe, in dem sie ihn daran erinnerten, dass Japan am 7. Dezember 1941 nicht nur Pearl Harbor überfiel, sondern auch Hongkong, Manila und andere Ziele in Asien. Die Unterzeichner forderten Abe dazu auf, China, Korea und anderen Ländern Asiens einen ähnlichen Beileidsbesuch abzustatten.

Bleibt als Adressat seines Besuchs der nächste US-Präsident, Donald Trump. Abe stellt sich ein starkes Japan vor, das mit China Handel treibt, aber Peking - vor allem militärisch - die Stirn bietet. Obamas "Schwenk nach Asien" war ganz nach Abes Geschmack; die Transpazifische Partnerschaft (TPP), ein Handelsabkommen der Pazifikstaaten ohne China, sollte die amerikanisch-japanische Macht demonstrieren. Trump jedoch hat die TPP bereits für tot erklärt und Amerikas Militärgarantien für Japan infrage gestellt. Abe ist deshalb bemüht, Trump das Bild einer engen Allianz zwischen Washington und Tokio zu vermitteln; nach Trumps Wahlsieg stattete Abe diesem in New York einen Blitzbesuch ab. Sollte Trump die TPP tatsächlich platzen lassen, dürfte Peking eine Alternative auf die Beine stellen - ohne die USA. China ist Japans wichtigster Wirtschaftspartner; Tokio hätte kaum eine andere Wahl, als mitzumachen. So gesehen waren Abes Worte in Pearl Harbor auch Realpolitik.

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