Ja, sagt Alfred Grosser, er werde das Thema ansprechen, trotz allem, "sonst würde ich mich ja entwürdigen". Also wird er in den letzten zehn Minuten seiner Rede an diesem Dienstag in der Frankfurter Paulskirche über Israel sprechen. Er wird Horst Köhler zitieren, der gesagt hat, eine Lehre aus dem Nationalsozialismus sei, dass man sich immer und überall für Freiheit, Menschenrechte und Gerechtigkeit einsetzen müsse. Und dann wird Alfred Grosser hinzufügen, dass das offenbar im Umgang mit den Palästinensern nicht gelte.
Der Politologe Alfred Grosser ist als scharfer Kritiker der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern bekannt. So ein Mann sei als Redner auf der Gedenkfeier zum Jahrestag der Reichspogromnacht ungeeignet, so ein Mitglied des Zentralrats der Juden, das forderte, Grosser auszuladen. Fragt man den Politologen, ob er Hass gegen Israel schüre, sagt er: "Quatsch."
(Foto: dpa)An dieser Stelle könnte es zum Eklat kommen, könnten einige Besucher aufstehen und gehen. Es wäre nicht der erste in Frankfurt, nicht der erste an diesem Ort. In der Paulskirche hat schon Martin Walser 1998 von der "Moralkeule Auschwitz" gesprochen, Grosser war ihm danach beigesprungen. Deshalb hat Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, nun gefordert, Grosser als Redner auszuladen. Vor allem aber, weil der 85-jährigen Politologe die israelische Politik kritisiert, hart wie kaum einer. Diese Politik "fördert den Antisemitismus" hat er schon gesagt. Seine Kritiker werfen ihm vor, Hass gegen Israel zu verbreiten.
"Das ist Quatsch", sagt Grosser, "Ich sage nicht ein Drittel dessen, was in Israel gesagt wird." Er klingt fröhlich am Tag vor seinem Auftritt, er lacht bisweilen. Belastet ihn die Kritik? "Sie disqualifiziert eher jene, die mich angreifen."
Vor 85 Jahren wurde Alfred Grosser in Frankfurt als Kind jüdischer Eltern geboren, sein Vater leitete ein Krankenhaus, das er wegen der "arischen Umstellung" verlassen musste. Die Familie floh 1933 nach Frankreich, wo der Vater starb und auch die Schwester; andere Familienmitglieder kamen in Auschwitz um. Es ist eine grausame Geschichte, und trotzdem wurde Grosser nach dem Krieg Vordenker und wortmächtiger Begleiter der deutsch-französischen Freundschaft. Als "bedeutenden Lehrer der Toleranz", lobte ihn einst Richard von Weizsäcker.
Und nun könnte es sein, dass bei seiner Rede die jüdischen Zuhörer den Saal verlassen. "Wenn es beleidigend wird, muss ich mir das nicht anhören", sagt Salomon Korn, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Frankfurts. "Wir wollen keinen Eklat", sagt Dieter Graumann, der designierte Präsident des Zentralrats. "Aber wenn er mit einer Tirade gegen Israel beginnt, gehen wir raus."