Süddeutsche Zeitung

Gedenken an Ersten Weltkrieg:Triumph der Freundschaft

Zum ersten Mal feierten Deutschland und Frankreich gemeinsam das Ende des Ersten Weltkriegs. Die Freundschaft sollten Merkel und Sarkozy für die Europapolitik nutzen.

Stefan Ulrich

Es gibt Orte, an denen sich Geschichte wie in einem Brennglas bündelt. Die Place d'Étoile mit dem Arc de Triomphe ist so ein Platz. Napoleon befiehlt 1806 den Bau des Triumphbogens in Paris, um seine Schlachten auf den Feldern Europas und die Siege der Revolution zu feiern.

Ein halbes Menschenleben später wird der Leichnam des gescheiterten Imperators durch den Arc de Triomphe gefahren. 1871 defilieren preußische und bayerische Truppen unter Kaiser Wilhelm I. an dem steinernen Bogen vorbei. Seit 1920 gedenkt Frankreich hier des Waffenstillstandes nach dem Ersten Weltkrieg und der deutschen Kapitulation. Schon 20 Jahre später marschieren wieder deutsche Soldaten auf. Ihr Oberbefehlshaber heißt Adolf Hitler. 1944 triumphiert Charles de Gaulle auf dem Sternenplatz, der heute seinen Namen trägt.

Nicolas Sarkozy und Angela Merkel bewegten sich also auf besonderem Boden, als sie am Mittwoch unter dem Arc de Triomphe die Flamme am Grab des unbekannten Soldaten entzündeten. Zum ersten Mal feierten Deutschland und Frankreich gemeinsam den 11. November in Paris. Helmut Kohl und Gerhard Schröder schreckten davor noch zurück, wohl weil sie der Tag zu schmerzhaft an die deutsche Niederlage und den harten Versailler Vertrag mit seinen fatalen Folgen erinnerte.

Während die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, der deutschen Schuld und der Verantwortung für Europa die Nachbarländer einte, trennte sie das Gedenken an den Ersten Weltkrieg noch. Das ist vorbei. Am Mittwoch standen französische und deutsche Soldaten um den Triumphbogen. Ein französischer Chor sang die deutsche Nationalhymne. Und die Kanzlerin rief in den Himmel über Paris: "Vive la France!"

Millionen französische und deutsche Soldaten sind gefallen, bevor dies möglich wurde. Hätte man den schmutzverkrusteten, ausgemergelten Männern in den Schützengräben bei Verdun solche Szenen vorausgesagt, sie hätten sie für Trugbilder gehalten. Nun aber schließt sich ein Kapitel der Geschichte. Die deutsch-französische Freundschaft hat sich endlich auch den 11. November einverleibt.Geschichtspessimisten könnte das zu denken geben, denn es zeigt: Nationen sind lernfähig. Scheinbar ewige Feindschaft lässt sich in Freundschaft verwandeln. Sarkozy und Merkel haben diesen Prozess besiegelt, zwei Politiker, welche die Gemetzel der beiden Völker nicht mehr erlebten.

Für sie ist die deutsch-französische Freundschaft weniger Herzenssache als noch für François Mitterrand und Helmut Kohl. Sarkozy fühlt sich eigentlich zu den USA und zu Großbritannien hingezogen, Merkel hat einen ostdeutschen Hintergrund. Doch beide erleben im politischen Alltag, wie sehr Deutschland und Frankreich einander brauchen. Sarkozy nennt ihre Freundschaft jetzt einen trésor. Dieser Schatz darf nicht im Museum verstauben. Er kann gewinnbringend eingesetzt werden.

Der Tag des Mauerfalls am Montag, der Tag des Waffenstillstands am Mittwoch - dies ist eine Woche des Erinnerns und der Symbolik. Doch die Geschichte geht weiter, und sie könnte Frankreich, Deutschland und ganz Europa alsbald an ihrem Rand liegen lassen. Die USA und China bereiten sich vor, in zehn, zwanzig Jahren die Geschicke der Welt untereinander auszumachen. Schon heute blicken sie manchmal auf Europa, als sei es ein historisches Disneyland.

Für die Europäer ist das gefährlich. Sie haben nach blutigen Jahrhunderten eine Form des Zusammenlebens gefunden, die auf der Kunst des Kompromisses, bürgerlichen Freiheitsrechten, sozialem Ausgleich und so praktischen Dingen wie einer Krankenversicherung für alle beruht. Europa wird sich mit diesem Lebensmodell nicht behaupten können, wenn es weltpolitisch ins Abseits gerät. Und seine Einzelstaaten werden noch viel weniger in der Lage sein, ihren modus vivendi zu verteidigen.

Dies haben die britischen Tories, der tschechische Präsident und andere Europäer bislang nicht begriffen. Auch Merkel und Sarkozy wirken eher als nationale Politiker denn als europäische Föderalisten. Nun sollten sie mehr Ehrgeiz in die Europapolitik stecken. Die EU ist bislang zu schwach, um sich in der Weltpolitik zu behaupten. Sie braucht nicht nur Binnenmarkt, Euro und Sternenbanner, sondern auch eine Außenpolitik, ein Sicherheitskonzept und eine Armee. Auf die wirtschaftliche Einigung des Kontinents muss die politische folgen, wenn das schon erreichte Einigungswerk nicht gefährdet werden soll. Nur Frankreich und Deutschland sind in der Lage, dabei voranzugehen. Sie sollten es tun, auch wenn sie zunächst nur einige EU-Partnerländer begleiten mögen.

Der Arc de Triomphe erinnert an viele Versuche, Europa zu formen. Er ist den Triumphbögen des antiken Rom nachgebildet, das ein Vielvölkerreich beherrschte. Er steht für den Anspruch Napoleons, Europa französischer Führung zu unterwerfen. Er erlebte den Versuch Hitler- Deutschlands, den Kontinent unter das Joch einer Rasse zu zwingen. Nun erklang am Arc de Triomphe nach Marseillaise und Deutschlandlied auch die Europahymne. Sie gilt allen Europäern und trägt über die deutsch-französische Freundschaft hinaus.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.134674
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.11.2009
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.