60. Geburtstag von Kanzlerin Merkel:Party mit Hörsaal-Atmosphäre

Angela Merkel feiert 60. Geburtstag

Ganz nach dem Geschmack der Kanzlerin: Angela Merkel feiert ihren 60. Geburtstag im Konrad-Adenauer-Haus.

(Foto: dpa)

Uneitel - auf diese Zuschreibung für Angela Merkel können sich alle einigen. Und so fällt auch die Feier zum runden Geburtstag der Bundeskanzlerin alles andere als glamourös aus. Dafür beschenkt die Jubilarin sich und die illustre Gästeschar mit geistiger Kost.

Von Thorsten Schmitz, Berlin

Andere Menschen feiern ihren 60. Geburtstag im Kreise ihrer Liebsten oder gönnen sich einen Flug auf die Seychellen. Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen blieb am Donnerstagabend ihrem Ruf treu, Bodenhaftung zu besitzen und Zeit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen: Anstatt es krachen zu lassen, lud Merkel etwa 500 Gäste zu einem Vortrag des sehr klugen Konstanzer Historikers Jürgen Osterhammel über das Thema "Vergangenheiten - Über die Zeithorizonte der Geschichte" ins spröde (und überhitzte) Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses.

Hörsaal-Atmosphäre statt Ausgelassenheit - so lässt sich am besten der erste Teil des Abends beschreiben. Erschwerend hinzu kam eine gefühlte Temperatur von 30 Grad, die manch einem die Konzentration zu rauben schien. Ein paar Politiker wurden von Müdigkeitsattacken erfasst und nickten ein, ihre Namen sollen hier nicht verraten werden. Merkels Ehemann Joachim Sauer war übrigens der Einzige, der schon nach zehn Minuten sein Anzugsjackett über die Plastikstuhllehne hängte. Vielleicht hat er das Barack Obama abgeschaut, der bei seinem letzten Berlin-Besuch bei brütender Hitze auch das Jackett ausgezogen hatte.

Zum Geburtstagsfest kamen alle, die man kennt, nur einer nicht, der an Leukämie erkrankte Guido Westerwelle, den Merkel persönlich erwähnte. Es kamen also unter vielen anderen die ehemalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und Hessens Regierungschef Volker Bouffier, die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner (deren Hollywood-Lächeln die Fotografen verrückt machte), der Schauspieler Ulrich Matthes, Merkels engste Vertraute und Büroleiterin Beate Baumann, FDP-Chef Christian Lindner und der Liedermacher Wolf Biermann.

Merkel indes blieb sehr wach und klatschte beherzt für ihr eigenes Geschenk

Und wen man auch fragte: Sie alle waren voll des Lobes für eine Frau, die Lobhudelei eigentlich nicht erträgt. Das meist verwendete Wort an diesem Donnerstagabend war: uneitel. Auch die Opposition denkt so. Gregor Gysi, der nicht zum CDU-Fest geladen war, hatte am Morgen in einem RBB-Radiointerview noch erklärt: "Das Schöne an Merkel ist, dass sie sich nichts aus materiellen Dingen macht."

Zu Merkels Uneitelkeit gehörte dann eben auch, dass nicht sie sich ins Rampenlicht stellen ließ, sondern einen Historiker und dessen Abhandlung darüber, wie viel Vergangenheit nötig ist, um die Gegenwart zu verstehen. Osterhammel sprach alles an, was jemanden wie Merkel bewegt: den wahnsinnigen Sprung der chinesischen Gesellschaft vom Arbeiter-und-Bauernstaat zur führenden Wirtschaftsnation der Erde, den Politikbetrieb, der vielleicht hektischer, "aber nicht unbedingt schneller" geworden sei. Aber auch: die Einwanderungsgesellschaft und die Globalisierung von Migrationsströmen.

Manch einer mag den Faden verloren haben angesichts von stehender Luft und schwerer geistiger Kost - Merkel indes blieb sehr wach und klatschte beherzt nach rund 50 Minuten über das Geschenk, das sie sich selbst gemacht hatte. Nicht nur Merkel kennt Osterhammel und dessen Bücher, sondern auch Merkels Ehemann Joachim Sauer, Professor für physikalische und theoretische Chemie: Die beiden Männer sitzen seit 15 Jahren in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Frecher, braun gebrannter SPD-Chef

Im Anschluss an den Vortrag versuchte ein sehr braun gebrannter SPD-Chef Sigmar Gabriel in seiner kurzen Ansprache, witzig zu klingen, kam gleichzeitig aber auch sehr frech rüber, zum Beispiel als er sagte: "Frau Merkel, es ist wenigstens zeitweise eine große Freude mit Ihnen zusammenzuarbeiten." CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder redete manuskriptfrei und tunkte Merkel in Lob. Er hob hervor, dass Merkel "geschützte Räume" schaffe, "in denen man Tacheles reden kann", ohne dass am nächsten Tag der Tacheles in der Zeitung steht. Er wagte sogar ein bisschen Kritik an seiner CDU und gab seinem Erstaunen Luft: "Wer hätte das gedacht, dass die männerdominierte CDU so etwas hervorbringt?"

Mit "so etwas" meinte er: eine Bundeskanzlerin Merkel.

Die wirkte selig und nahm mit mädchenhaftem Lächeln Blumen und eine weißblaue Halskette von Gerda Hasselfeldt entgegen - und knipste in Merkel'scher Manier das Lächeln ebenso schnell wieder aus, wenn es nicht mehr gebraucht wurde.

Wird sie nun die volle Amtszeit Kanzlerin bleiben

Hier und da wurde an diesem Abend auch darüber spekuliert, ob es stimme, was in den vergangenen Tagen die Merkel-Auguren vermeldeten - ob sie nun die volle dritte Amtszeit Kanzlerin bleiben oder den Stab vorzeitig weiterreichen werde. Im Spiegel wird ein Mitarbeiter aus Merkels Entourage zitiert, es "reizt sie sehr", zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl aus dem Amt auszusteigen. Sie selbst ließ am Donnerstagabend nur wissen: "Es lässt sich nicht leugnen, ich bin 60 geworden. Aber ich bin noch immer sehr neugierig."

Nur: Neugierig auf was? Bundeskanzlerin zu bleiben - oder sich vielleicht doch auf ein neues Abenteuer einzulassen?

Die Fotografin Herlinde Koelbl hatte in den neunziger Jahren das Glück, Angela Merkel über einen Zeitraum von acht Jahren zu interviewen und zu fotografieren. Damals begann Merkels steile Karriere gerade erst. Aber schon damals betrachtete sie das Politikerleben mit gewisser Skepsis: "Es gibt eine Menge Alternativen, sein Leben ruhiger und schadloser zu verbringen. Daher stört es mich, dass ich aus dem Ganzen möglicherweise auch noch demoliert herauskomme. Man sollte nicht so tun, als sei es das einzig Wahre und Schöne im Leben, ein solches Amt zu haben."

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