100. Geburtstag von Erich Honecker:Mit eiserner Hand

Wer Erich Honecker nur für einen grauen Apparatschik hält, unterschätzt die historische Rolle des obersten DDR-Repräsentanten. Er hatte mehr Macht als jeder andere deutsche Politiker seit dem Zweiten Weltkrieg. Zum Verhängnis wurde ihm letztlich sein politischer Erfolg.

Martin Sabrow

Martin Sabrow, 58, ist Professor für Neueste und Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam.

An diesem Samstag vor 100 Jahren wurde Erich Honecker im saarländischen Wiebelskirchen geboren. Von den knapp 82 Jahren seines Lebens verbrachte er bald zehn Jahre in nationalsozialistischer Haft und mehr als sechzig Jahre in der kommunistischen Bewegung. Sie führte ihn von der proletarischen Kindergruppe seines Heimatortes über viele Etappen an die Spitze der DDR, die er 18 Jahre lang eisern beherrschte, bis er am 17. Oktober 1989 durch eine einfache Abstimmung im Politbüro seines Amtes enthoben wurde.

Nach einer Odyssee von Deutschland nach Moskau und wieder zurück wurde Honecker in Berlin der Prozess gemacht, bis eine fortschreitende Krebserkrankung zur Einstellung des Verfahrens führte, und der Ex-Diktator seiner Frau ins Exil nach Chile folgte, wo er am 29. Mai 1994 starb.

Was bleibt von dem Mann, der in der Zeit seiner Herrschaft mehr Macht auf sich vereinte als jeder andere deutsche Politiker seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs? Die kollektive Erinnerung zeichnet Honecker als einen mausgrauen Apparatschik, der sein Land wie ein Potemkinsches Dorf regierte und in starrsinniger Verblendung geradewegs in den Bankrott führte. Sie bewahrt die Doppelmoral eines Diktators, der die Gesellschaft von allen Rechten und Genüssen fernhielt, die er sich selbst gerne gönnte, und sie speichert das Bild eines vor Gericht gestellten Greises, der mit zitternder Faust und monotoner Stimme eine kommunistische Ordnung beschwört, die sich längst überlebt hatte.

Kein Schattenplatz im historischen Gedächtnis

Nichts davon ist falsch, und doch ergibt es zusammen kein zutreffendes Bild. Wir neigen, zumal nach dem friedlichen Umbruch von 1989/90, dazu, die Kraft der historisch überlebten SED-Herrschaft zu unterschätzen und Honecker einen Schattenplatz im historischen Gedächtnis anzuweisen, den weder er verdient noch diejenigen, deren Entschlossenheit seiner Herrschaft ein Ende setzte.

Schon seine Lebensgeschichte war weniger glatt und einsträngig, als das offizielle Bild des obersten DDR-Repräsentanten erkennen ließ. Weder blieb er in der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung der kommunistischen Sache so unverbrüchlich verschrieben, wie er es in seinen autobiografischen Auslassungen wahrhaben wollte, noch vollzog sich sein politischer Aufstieg in der SED nach 1945 mit der bruchlosen Selbstverständlichkeit, die er im Rückblick zu haben schien.

Dem zupackenden und auch rhetorisch gewandten Gründungsvorsitzenden der FDJ schadeten besonders seine Frauenaffären, und nur durch Walter Ulbrichts Protektion und eine zeitweilige Entsendung an die Parteihochschule in Moskau überstand er in den Fünfzigerjahren die innerparteilichen Machtrivalitäten. Der entschlossene Hardliner, der 1961 den Bau der Mauer organisierte und 1965 den Kampf gegen jede kulturpolitische Lockerung anführte, wandelte sich in den Sechzigerjahren vom Kronprinzen zum Gegenspieler Ulbrichts, den er 1971 mit Hilfe Moskaus zu stürzen vermochte.

Machterhalt statt Weltrevolution

Hinter diesem persönlichen Machtkampf stand ein innerkommunistischer Richtungswechsel von historischer Tragweite. Ulbricht hielt noch in seinem späten Reformeifer an der Utopie der historischen Überlegenheit der sozialistischen Idee fest und Honecker vom ersten bis zum letzten Tag an der Notwendigkeit ihrer defensiven Selbstbehauptung. Seine Vision hieß nicht mehr Weltrevolution, sondern Machterhalt, und dieser Aufgabe widmete er sich bald zwei Jahrzehnte mit erstaunlichem Erfolg.

Eine die Wirtschaftskraft der DDR überbeanspruchende Sozialpolitik in Verbindung mit einer immer weiter ausgreifenden Gesellschaftsüberwachung halfen ihm, eine Aufgabe zu lösen, vor der so kein anderer Staat des sowjetischen Machtbereichs stand: die kommunistische Staatsordnung in der direkten Konkurrenz mit einem in jeder Hinsicht überlegenen Nachbarstaat zu behaupten, von dem sie trotz aller Grenzabriegelung keine sprachliche und keine ethnische Grenze trennte.

Gelähmte Faust des Regimes

Honecker kam dabei eine Eigenschaft zustatten, die sich aus seiner politischen Sozialisation in der Jugendbewegung der zwanziger und dreißiger Jahre an der Saar erklärt, nämlich die Amalgamierung von stalinistischer Parteitreue und unbefangener Bündnisbereitschaft. Gleichviel, ob Preußenerbe oder Lutherehrung - Honeckers Herrschaft integrierte, was Legitimation versprach. Er blieb bis zuletzt moskautreu und scheute dennoch nicht den Kontakt zu dem vom Glauben abgefallenen Ex-Genossen Herbert Wehner und ebenso wenig die Kooperation mit der Inkarnation des Klassenfeindes in Gestalt von Franz Josef Strauß.

Was ihm schließlich zum Verhängnis wurde, war weniger das Erstarken einer revolutionären Opposition als vielmehr der eigene politische Erfolg: Indem Honecker sein diktatorisch beherrschtes Land zu einem weltweit anerkannten Staat machte, setzte er es zugleich einer wachsenden Konkurrenz nicht nur der Güter, sondern auch der Geister aus. Nur als geschlossene Sinnwelt hatte das sozialistische Projekt seine politische Legitimation und Handlungsmacht bewahren können. Die immer weitere Öffnung der DDR ließ in den Achtzigerjahren nicht nur die Bevölkerung immer stärker ihre Bedürfnisse einklagen, sondern lähmte auch die Faust des Regimes, das sich lieber friedlich aufgab, als seine Macht mit Gewalt zu sichern.

Erich Honecker war kein schwacher Diktator. Er übernahm von Ulbricht eine Herrschaft, die ihre Zukunftsperspektive schon verloren hatte und sich doch noch fast zwei Jahrzehnte über ihr historisches Verfallsdatum hinaus zu behaupten vermochte.

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