Geburtenkontrolle in China:Gefährliche Zukunft

Ein-Kind-Politik in China

Etwa 1,3 Milliarden Einwohner hat China, aber zwei Generationen von Kindern wuchsen ohne Geschwister, Cousins, Onkel und Tanten auf.

(Foto: dpa)
  • China begründet das Ende der Ein-Kind-Politik mit ökonomischen und demografischen Gründen.
  • Tatsächlich bedroht die Maßnahme seit Langem die Zukunft des Landes, denn China altert rapide.
  • Schon 2030 wird es 210 Millionen Menschen geben, die älter sind als 60 Jahre - für das Land ein gewaltiges Problem.

Von Kai Strittmatter, Peking

Wie Reis, Tee und Pandabären war die Ein-Kind-Politik in den 36 Jahren ihres Bestehens so etwas wie ein Markenzeichen Chinas. Anders als jene war sie nie populär. Zwar half sie dem Land, das unkontrollierte Bevölkerungswachstum in den Griff zu bekommen, zu dem Mao Zedong sein Volk einst verdonnert hatte. Gleichzeitig aber brachte sie Leid über viele Familien. Am Donnerstag verkündete die Nachrichtenagentur Xinhua die Abschaffung: "Jedem Ehepaar werden zwei Kinder erlaubt", heißt es. Es ist das Ende einer Ära.

Die Ein-Kind-Politik wurde 1979 eingeführt, sie galt allerdings nie für alle Chinesen. Die Angehörigen nationaler Minderheiten, etwa Tibeter oder Uiguren, durften mehr Kinder bekommen. Bauern wurde ein zweites Kind erlaubt, wenn das erste ein Mädchen war. Bei den meisten Städtern hingegen übernahm die Familienplanungsbehörde die Kontrolle über die Fortpflanzung. Die Bürokratie dringe "in die intimsten Bereiche des Lebens eines Individuums ein und sät Furcht", schrieb der Schriftsteller Ma Jian: "Der Staat bestimmt über die Eierstöcke der Frauen."

Regierung: 400 Millionen Geburten verhindert

Etwa 1,3 Milliarden Einwohner hat das Land, aber zwei Generationen von Kindern wuchsen ohne Geschwister, Cousins, Onkel und Tanten auf. Die Regierung sagt, man habe so 400 Millionen Geburten verhindert; die Familienplaner an der Basis griffen dabei oft zu grausamen Methoden wie Zwangsabtreibungen und -sterilisierungen. In ärmeren Gegenden wurden mancherorts neugeborene Mädchen von den Eltern ausgesetzt oder getötet: Auf dem Land ist es traditionell der Sohn, der im Alter für die Eltern sorgt. Massenhaft wurden weibliche Föten abgetrieben. Wenn China bald einen Überschuss von 30 Millionen jungen Männern zählt, die nie eine Frau finden werden, dann wegen der Ein-Kind-Politik.

In den letzten Jahren verlor die Politik etwas an Schrecken. Die Städter kamen zu Wohlstand, viele kauften sich gegen die Zahlung eines Strafgeldes frei. Vor zwei Jahren wurden die Regeln gelockert: Ein zweites Kind wurde all jenen Ehepaaren gestattet, von denen ein Teil selber als Einzelkind aufgewachsen ist. Bevölkerungswissenschaftler fordern schon seit Jahren die komplette Abschaffung der Beschränkungen.

Ein-Kind-Politik bedroht seit Langem Zukunft des Landes

Die Regierung folgt ihnen nun und begründet den Schritt mit ökonomischen und demografischen Gründen: Er sei "eine aktive Antwort auf die Alterung des Volkes", heißt es bei Xinhua. Tatsächlich bedroht die Ein-Kind-Politik seit Langem die Zukunft des Landes, denn China altert rapide. Schon 2030 wird es 210 Millionen Menschen geben, die älter sind als 60 Jahre. Das ist ein gewaltiges Problem für den Staat und für die Einzelnen, denn das soziale Netz ist schwach.

Allerdings kommt die Abschaffung nun wohl viel zu spät, um Chinas alternde Gesellschaft noch ausbalancieren zu können. Die Erfahrungen nach der Lockerung der Regeln 2013 sind wenig ermutigend: Nur knapp eineinhalb Millionen Paare beantragten seither die Erlaubnis für ein zweites Kind. Das sind nur zwölf Prozent derer, die qualifiziert wären - viel weniger, als die Regierung erhofft hatte. Die meisten Pekinger oder Shanghaier haben schlicht keine Lust mehr auf ein zweites Kind: zu teuer, zu wenig Zeit. Immerhin bleibt ihnen die Entscheidung nun selber überlassen.

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