Geburten:Boom, Baby!

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Deutschland kämpft bereits mit den Folgen der Überalterung, umso erstaunlicher wirkt nun die Nachricht: Die Geburtenzahlen steigen deutlich an. Warum viele Frauen die Kinderfrage lange Zeit aufgeschoben haben - und sich nun mit Ja entscheiden.

Felix Berth

Den richtigen Zeitpunkt fürs Kinderkriegen gibt es nicht. Mal ist es zu früh, weil die Ausbildung des Mannes noch nicht beendet ist - und er sich partout nicht vorstellen kann, einen Kinderwagen zu schieben, so lange er den Abschluss an der Uni noch nicht geschafft hat. Mal passt es nicht, weil der neue, erste Arbeitsplatz der Frau doch recht unsicher erscheint. Später zögert ein Paar vielleicht, weil in den Jobs endlich alles rund läuft; außerdem findet man durchwachte Nächte im Alter von 38 möglicherweise belastender als mit Anfang zwanzig. Und dann, jenseits der 40 oder 45, ist es vielleicht zu spät, weil der Kinderwunsch nicht mehr in Erfüllung geht. Nein, eigentlich passt ein Baby immer schlecht zu den Lebensplänen junger Erwachsener in Deutschland.

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In den letzten Jahrzehnten waren solche Entwicklungen in allen westlichen Industriestaaten zu beobachten: Die Ausbildungen dauern heute viel länger als früher; das Kinderkriegen ist dank der Verhütung disponibel geworden, weshalb persönliche Präferenzen ein Gewicht bekommen, das sie vor einiger Zeit noch nicht hatten. All das bedeutet, dass junge Paare die Familiengründung aufschieben. In der Bundesrepublik zum Beispiel war es noch Anfang der siebziger Jahre üblich, dass eine Frau vor ihrem 25. Geburtstag schwanger wurde.

Der Moment der Entscheidung

Heute, vier Jahrzehnte später, sind Frauen oft jenseits der 35, wenn sie überhaupt Mutter werden. Gerade wohlhabende Großstädte bemerken überrascht, dass sogar die Zahl der Geburten jenseits des vierzigsten Geburtstags der Frauen rapide ansteigt. München zum Beispiel erlebt seit einigen Jahren einen echten Baby-Boom, auf den die Kommunalpolitiker mächtig stolz sind - obwohl sie gar nicht viel dazu beigetragen haben: In Städten wie Stuttgart, München oder Hamburg haben viele Akademikerinnen die Kinderfrage jahrelang unbeantwortet gelassen. Vielen schien es noch nicht nötig zu sein, eine Entscheidung zu treffen.

Doch dieser Trend scheint zu einem Ende zu kommen. Denn trotz der Erfolge der modernen Fortpflanzungsmedizin lässt sich das Kinderkriegen nicht beliebig hinausschieben. Zwar gelten Schwangerschaften jenseits des 35. Geburtstags nicht mehr automatisch als medizinisches "Risiko" wie noch vor einigen Jahren. Doch irgendwann kommt der Moment der Entscheidung: Jetzt noch ein Kind - oder gar keines mehr. Offenbar wählen viele das Kind: Das Statistische Bundesamt stellt fest, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2010 fast 20.000 Kinder mehr zur Welt kamen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Diese Zahlen sind zwar noch ein wenig wackelig, weil sie noch präzisiert werden müssen. Doch wenn die amtlichen Statistiker die eigenen Daten nicht extrem stark korrigieren müssen, deutet sich eine Wende an: Ein Plus von 20 000 Geburten gab es im ganzen letzten Jahrzehnt nicht - auch nicht, als das Elterngeld eingeführt wurde. Damals, im Jahr 2007, kamen etwa 12000 Kinder mehr zur Welt als im Vorjahr; die Geburtenrate stieg von 1,33 auf 1,37 Kinder pro Frau.

Vor der endgültigen Entscheidung stehen derzeit viele Frauen, die zur Generation der Baby-Boomer gehören. Sie kamen in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren zur Welt, bevor der "Pillenknick" einsetzte. Sie haben lange Ausbildungen gemacht, haben häufig Universitäten und Fachhochschulen absolviert. Sie haben den Berufseinstieg erledigt - um sich nun offenbar zu einem erheblichen Teil noch für Nachwuchs zu entscheiden.

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So jedenfalls lassen sich die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2010 verstehen: "Wenn das Aufschieben der Geburten zum Stillstand kommt, ist es logisch, dass die Zahl der Geburten steigt", sagt Michaela Kreyenfeld vom Max-Planck-Institut für Demographie in Rostock. Ähnliche Entwicklungen stellte sie zuvor schon in diversen Nachbarländern, darunter in Frankreich, fest: "Wir haben eigentlich seit einiger Zeit erwartet, dass in Deutschland etwas ähnliches einsetzt."

Land der Einzelkinder

Im Osten Deutschlands zeigt sich besonders deutlich, was geschieht, wenn Frauen mit dem Kinderkriegen warten. In den Jahren nach der Wende sanken die Geburtenraten auf historisch einmalig niedrige Werte. Viele Frauen, die bereits ein Kind hatten, zögerten wegen der lange anhaltenden wirtschaftlichen Unsicherheit damit, noch einmal Nachwuchs zu bekommen.

Ostdeutschland wurde auf diese Weise zu einer Region der Einzelkinder: Der Normalfall ist dort nicht das Paar mit zwei Kindern, wie im Westen - typisch ist eher die Unverheiratete mit einem Kind. Doch in den letzten Jahren hat sich das Bild geändert.

Ostdeutsche Frauen holten nämlich einen Teil der Geburten nach, sobald Wirtschaft und Gesellschaft wieder ein Gefühl von Sicherheit vermittelten. Allmählich kamen wieder mehr Babys zur Welt; im Jahr 2008 war der Aufholprozess dann geschafft. Seitdem bekommen Frauen in den ostdeutschen Bundesländern wieder mehr Kinder als im Westen. Auch wenn es den perfekten Moment zum Kinderkriegen nicht gibt: Die meisten wagen es doch irgendwann.

© SZ vom 30.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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