Populismus:Magie der harten Führer

Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan und Silvio Berlusconi 2009 in Ankara

Die großen Drei (von links): Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan und Silvio Berlusconi 2009 in Ankara.

(Foto: K. Ozer/Reuters)
  • Trump, Putin, Erdoğan: Weltweit haben Politiker, die Härte demonstrieren, besonders großen Zulauf.
  • Viele Bürger haben eine Sehnsucht nach einer Führungsfigur, die mit den Institutionen, Gesetzen, Richtern und Oppositionellen aufräumt, die zwischen Volk und Anführer stehen.
  • Die Populisten sind nicht mit Mussolini oder gar Hitler zu vergleichen. Sie benutzen jedoch ähnliche Machttechniken.

Analyse von Stefan Ulrich

Die Republik ist in tödlicher Gefahr. Putschisten wollen die Macht ergreifen, um die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen. In dieser Lage wird ein entschlossener Mann gebraucht, der unter den Verschwörern aufräumt und die Republik rettet. Dafür wird ihm zugestanden, vorübergehend als Diktator zu regieren. Die Rede ist hier noch nicht von der Republik Türkei und Recep Tayyip Erdoğan, sondern von der Römischen Republik und Lucius Quinctius Cincinnatus.

Die Geschichte der Menschheit lässt sich als Geschichte der Macht erzählen, in der sich zwei Lager gegenüberstehen. Das eine will Macht konzentrieren, oft mit der Begründung, so ließe sich am wirksamsten zum Wohle des Volkes regieren und für Sicherheit sorgen. Das andere möchte Macht beschränken, weil sie die Gefahr des Missbrauchs in sich trage und die Freiheit gefährde.

Die alten Römer schafften es, beiden Ansichten gerecht zu werden. In normalen Zeiten war die Macht verteilt auf den Senat, zwei Konsuln, Volkstribune, Richter. Wenn die Existenz der Republik auf dem Spiel stand, wurde dagegen ein dictator als Alleinherrscher eingesetzt. Sein Mandat war auf bestimmte Aufgaben begrenzt, etwa die Abwehr von Feinden, und auf höchstens sechs Monate befristet. Danach galten wieder die normalen Spielregeln der Republik. Das hat funktioniert?

Demokratie ist weltweit auf dem Rückzug

Zumindest lange Zeit. Dies lag auch am Verantwortungsbewusstsein der Diktatoren. Cincinnatus schlug 439 vor Christus als Diktator einen Aufstand nieder. Danach zog er sich wieder auf seine Felder hinter den Pflug zurück. Zum Dank ging er als Beispiel eines vir vere Romanus, eines echten Römers, in die Geschichte ein. Im Namen der Stadt Cincinnati in den USA lebt er weiter.

Die Diktatoren aber sind nicht mehr so, was sie damals waren. Bereits Gaius Julius Caesar wahrte zwar noch die republikanischen Formen, dachte aber nicht mehr daran, die Macht wieder abzugeben, weshalb Brutus ihn erdolchte. Danach ging es mit den Diktatoren - die sich Kaiser, Führer, Großer Vorsitzender oder Bruder Nummer eins nannten - steil bergab. Caligula, Stalin, Mao, Pol Pot, Idi Amin oder, als furchtbarster von allen, Adolf Hitler, brachten unendliches Leid über die Menschen. Sie belegen die These, dass Macht kontrolliert werden muss, um erträglich zu sein.

Ein erprobtes System ist die repräsentative Demokratie westlicher Prägung, die in einem Rechtsstaat gelebt wird. Sie versucht, dem Freiheits- und dem Sicherheitsbedürfnis zugleich gerecht zu werden. Dennoch ist die Demokratie weltweit auf dem Rückzug. Die amerikanische Nichtregierungs-Organisation Freedom House schreibt in ihrem Bericht 2016, die "globale Freiheit" sei im zehnten Jahr in Folge im Niedergang. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen die deutsche Bertelsmann-Stiftung und die britische Economist Intelligence Unit. Letztere schreibt zu ihrem Jahresbericht für 2015: "In unserem Zeitalter der Angst ist die Freiheit oft das erste Opfer von Furcht und Unsicherheit." Zwar seien etwa die Hälfte der Staaten der Erde Demokratien. Doch nur in 20 Ländern genössen die Menschen eine voll ausgeprägte Demokratie.

Viktor Orbán wirbt für einen Bastard namens "illiberale Demokratie"

Der Übergang vom demokratischen Rechtsstaat zur Diktatur ist fließend. Noch zu Beginn des Jahrtausends sah es so aus, als setzten sich die Demokratien durch - auch wenn damals in Rom Silvio Berlusconi regierte, der mit seiner Egomanie, dem Zugriff auf die Medien und den Angriffen auf die Justiz manches vorwegnahm, was heute Schule macht. Damals aber schienen sich Russland und China für den Rechtsstaat und die Volkssouveränität zu erwärmen. In Südamerika wich der Herbst der Patriarchen einem Frühling der Demokratie. In Afrika räumten junge Präsidenten wie Paul Kagame in Ruanda den Schutt weg, den alte Despoten hinterlassen hatten. Mittelosteuropa wuchs in die EU hinein. Später fegte der Arabische Frühling die Gaddafis und Mubaraks hinweg.

Heute wirbt der ungarische Premier Viktor Orbán für einen Bastard namens "illiberale Demokratie". Sein Bruder im Geiste, der polnische De-facto-Herrscher Jarosław Kaczyński, zertrümmert die Justiz und verhöhnt die EU, deren Fördergeld er nimmt. Die chinesische Regierung räuchert die letzten Winkel oppositioneller Freiheit aus. Afrikas junge Präsidenten sind zu alten Diktatoren geworden. Die syrische Freiheitsbewegung wird zwischen Baschar al-Assad und der Terrormiliz IS aufgerieben. In Libyen herrscht statt Muammar al-Gaddafi das Chaos.

Für Europa besonders bedrohlich ist die Entwicklung in der Türkei, in Russland und in den USA. Der türkische Präsident Erdoğan wandelt sich vom demokratischen Reformer zum Diktator. Er stempelt Gegner - ob Soldaten, Abgeordnete, Richter, Lehrer, Journalisten oder Mitarbeiter von Turkish Airlines - als Terroristen und Putschisten ab, um sie gnadenlos verfolgen zu können. Auf den Rechtsstaat pfeift er ebenso wie auf Kritik aus dem Ausland.

"Ihr glaubt, ich werde mich ändern? Ich werde mich nicht ändern."

In Russland ist der fahle Zar dabei, sein wirtschaftlich schwächelndes Land mit völkischen Parolen zu mästen. Er schwärmt von dem Millionengrab Sowjetunion, wedelt mit Atomwaffen und wirbt mit einem Gegenmodell zu den liberalen Demokratien. Wladimir Putin ist zum Vorbild all jener geworden, die von einem homogenen Volk mit starkem Führer träumen, weil ihnen die freie Welt mit ihren vielen Meinungen, ihrer Toleranz und ihren Kompromissen zu kompliziert und bunt geworden ist. In fast allen Staaten der EU gewinnen Menschen, die so empfinden, derzeit politisches Gewicht.

Kommende Woche treffen sich Erdoğan und Putin zum Gipfel der Neo-Autokraten. Vergessen scheint zu sein, dass sie sich 2015 fast bekriegten, weil die Türkei einen russischen Kampfjet abschoss. Heute eint sie ein Feind, der Westen, auf den sich auch Chinas Präsident Xi Jinping einschießt.

Ausgerechnet aus dem Westen des Westens, den USA, droht womöglich die größte Gefahr für Freiheit und Demokratie. Donald Trump, der Spitzenkandidat der Republikaner, könnte dort Präsident werden. Er ist ein Mann, der sich zu Putin hingezogen und vom liberalen Europa abgestoßen fühlt; der gegen Mexikaner und Muslime hetzt; und der vor seiner Wahl zum Präsidentschaftskandidaten die schrecklich Prophezeiung machte: "Ihr glaubt, ich werde mich ändern? Ich werde mich nicht ändern." Ein megalomaner Mann im Weißen Haus könnte dem Westen den Rest geben.

Was macht Trump, Putin und Erdoğan so attraktiv?

Die Frage aber stellt sich: Was macht die Putins, Trumps, Erdoğans, diese vom Cäsarenwahn umflorten National-Autoritären, so attraktiv? Eine Antwort lautet: das Narrativ. Die große Erzählung also, in die sich die Welt packen lässt, um der Vielfalt der Erscheinungen Sinn und Identität abzugewinnen. Bibel und Koran enthalten solche Erzählungen, die Odyssee, "Das Kapital" von Karl Marx, die Geschichte des geeinten Europa als Friedensprojekt oder der sozialen Marktwirtschaft als Wohlstandsmaschine.

Diese beiden Erzählungen trugen die europäischen Demokratien durch die Nachkriegsjahrzehnte. Sie funktionieren nicht mehr. Die Schrecken der Weltkriege verblassen. Frieden in der EU gilt als selbstverständlich. Die soziale Marktwirtschaft steht unter Druck eines ungezügelten Global-Kapitalismus, der den Menschen ständig Veränderung abverlangt und den Wohlstand teilweise grotesk ungleich verteilt. Das schafft Unsicherheit, Angst, Verbitterung. Damit arbeiten die Autoritären. Sie geben den Menschen ein Narrativ, das schon einmal, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zur Erfolgsgeschichte von Diktatoren wurde.

Diese Geschichte handelt vom Überlebenskampf der einfachen Leute, des Volkes, gegen ein elitäres, verschwörerisches, internationales System samt dessen gekauften Politikern und bestochener Lügenpresse. Das Volk erwählt sich einen starken Führer. Dieser räumt mit all den Institutionen, Gesetzen, Richtern und Oppositionellen auf, die zwischen Volk und Anführer stehen. Wer sich dem Erwählten widersetzt, verrät das Volk und muss genauso ausgeschaltet werden wie Sender oder Zeitungen, die das Volk mit Meinungsvielfalt verwirren. Wer sich dagegen dem Anführer unterordnet und als Individuum im Volk aufgeht, darf sich als Teil von etwas Großem fühlen. Er gibt seine Freiheit auf, bekommt dafür aber Sicherheit. Das ist verführerisch, nicht nur für Russen oder Türken, sondern auch für Franzosen, Briten, Tschechen und - aller Vergangenheits-Aufarbeitung zum Trotz - Deutsche.

Machttechniken, die auch faschistische Diktatoren gebrauchten

Am Anfang einer Diktatur kann dabei durchaus eine demokratische Wahl stehen. Dann wird ein innerer Feind ausgemacht und das Volk gegen ihn mobilisiert. Staat, Medien, Militär und Wirtschaft werden nach und nach mit Gefolgsleuten des starken Mannes besetzt. Tun sich Schwierigkeiten auf, etwa weil das dem Volk versprochene Paradies ausbleibt, oder verliert die Bewegung an Schwung, muss als Nächstes ein äußerer Feind her. Mussolini etwa marschierte 1935 in Äthiopien ein, Hitler überfiel 1939 Polen. Die Mobilmachung eines Krieges hilft Autokraten, weiter an der Macht zu bleiben - bis zum Ende in der Katastrophe. Zugegeben, auch Demokratien führen manchmal verbrecherische Angriffskriege, wie die USA unter George W. Bush im Irak. Nur: Demokratien fällt es leichter, Fehler einzusehen und verhängnisvolle Anführer wieder loszuwerden.

Nun sind Putin oder Erdoğan nicht mit Mussolini oder gar Hitler zu vergleichen. Sie benutzen jedoch Machttechniken, die auch faschistische Diktatoren des 20. Jahrhunderts gebrauchten. Insofern lässt sich aus der Geschichte lernen. Erstens: dass ein Zurückweichen vor Autokraten diese im Zweifel nicht besänftigt, sondern noch gieriger macht. Zweitens: dass Diktaturen allenfalls vorübergehend und nur für Anhänger des Diktators Sicherheit schaffen. Drittens: dass Freiheit immer wieder erkämpft und verteidigt werden muss.

Horst Seehofer (CSU) sagte vergangenen Sonntag bei der Trauerfeier für die Opfer des Amoklaufs von München: "Sicherheit ist das höchste Gut einer Demokratie." Da möchte man dem bayerischen Ministerpräsidenten mit den Worten Benjamin Franklins widersprechen: "Wer wesentliche Freiheiten aufgibt, um vorübergehend ein bisschen Sicherheit zu erreichen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit."

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