„Wir haben uns so danach gesehnt“, sagt Anwar Muhammed. Er sitzt in einem Zelt in Deir al-Balah in der Mitte des Gazastreifens. Am Telefon hört man im Hintergrund freudig-aufgeregte Stimmen, die Nachricht, dass es einen Waffenstillstand geben wird im Gaza-Krieg, sie ist erst wenige Minuten alt. Er sei erleichtert, sagt Anwar Muhammed, aber auch angespannt. „Vielleicht ist es nur eine Pause, vielleicht ist es ein längerer Waffenstillstand, wir hoffen, es ist das Ende, wir können nicht mehr.“
Fast 16 Monate tobte der Krieg gegen Gaza, nach dem Terror vom 7. Oktober 2023 mit etwa 1200 israelischen Toten richtete er sich erst gegen die Kämpfer der Hamas, gegen ihre Waffen und Tunnel. Der Krieg gegen den Terror wurde immer mehr zu einem Krieg gegen die Palästinenser in Gaza, nach Angaben der Gesundheitsbehörden kamen mehr als 45 000 Menschen ums Leben, nach Schätzungen der UN mehrheitlich Frauen und Kinder.
Anwar Muhammed hat seine Schwiegereltern verloren, seine Nichte verblutete nach einem israelischen Luftangriff, weil viele Tage keine Hilfe kam. Von seiner Schwester hat er seit Monaten kein Lebenszeichen. Alle paar Monate musste er fliehen, weil Gebiete, die von Israel als humanitäre Zonen ausgewiesen waren, plötzlich doch bombardiert wurden. Von Gaza floh er nach Chan Yunis, von dort nach Rafah und schließlich nach Deir al-Balah an der Küste. Er lebt mit seiner Familie in Zelten, nachts ist es bitterkalt, es gibt nur Essen aus der Dose. Sie sind müde, sie sind leer, jetzt freuen sie sich mit letzter Kraft.
Aus dem ganzen Gazastreifen gibt es Bilder, auf denen sich die Menschen in die Arme fallen, mehr weinen als lachen. Es ist eine düstere Freude, es gibt keinen Strom in Gaza, nur ein paar Taschenlampen.
Palästinensische Gefangene sollen im Gegenzug für Geiseln freikommen
Anwar Muhammed will so schnell wie möglich nach Gaza-Stadt, schauen, was von seinem Haus übrig ist. Im Hintergrund läuft der TV-Sender Al Jazeera, der die Details des Waffenstillstandsabkommens beschreibt.
In der ersten Phase von 42 Tagen würde die Hamas 33 Geiseln freilassen, darunter Kinder, Frauen – einschließlich Soldatinnen – und über 50-Jährige. Im Gegenzug werde Israel palästinensische Gefangene freilassen, sagte Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman al-Thani bei der Bekanntgabe des Deals in Doha.

Geiselproteste in Israel:Der Deal ist da
Mehr als 15 Monate sind vergangen seit den brutalen Massakern der Hamas, und seither demonstrieren die Angehörigen der Geiseln in Tel Aviv. Nun sollen die Verschleppten freikommen.
Alle Kampfhandlungen würden eingestellt, Israel werde sich in eine Pufferzone zurückziehen. Der Plan umfasst laut al-Thani drei Phasen, allerdings sollen die Details der weiteren Phasen erst nach Beginn der Waffenruhe verkündet werden.
Freudenschüsse im Gazastreifen
Noch muss das israelische Kabinett das Abkommen unterzeichnen, noch zweifeln viele Palästinenser daran, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu tatsächlich in die zweite Phase gehen wird, die rechtsradikalen Siedler haben diesen Schritt immer ausgeschlossen, bevor die Hamas nicht komplett vernichtet ist.
Danach sieht es nicht aus, der scheidende US-Außenminister Antony Blinken sagte am Dienstag, dass die Hamas fast genau so viele Kämpfer neu rekrutieren konnte, wie sie verloren hat. Es gibt aber auch viel Wut auf die Terrorgruppe, die mit ihrem Terror nichts erreicht hat. Weite Teile des Gazastreifens sind zerstört, so viele Menschen traumatisiert.
Wie es weitergeht? „Ich hoffe, dass mein Haus noch steht“, sagt Anwar Muhammed. Es wäre ein Wunder in all dem Elend. Ein paar Hundert Meter von ihm schießen Menschen vor Freude mit Gewehren in die Luft. Wenig später gibt der Zivilschutz eine Meldung heraus, man solle dies unterlassen: „Wir wollen nicht noch mehr Tote oder Verletzte beklagen“, heißt es in der Erklärung.