Süddeutsche Zeitung

Gazastreifen:Diplomatie statt Raketen

Lesezeit: 2 min

Die palästinensische Hamas herrscht im Gazastreifen - doch seit sie sich diplomatischer gibt, schwindet ihre Macht.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Gaza

An diesem Freitag darf auf Geheiß der Hamas wieder an der Grenze zum Gazastreifen demonstriert werden. Drei Wochen lang haben die in der Enklave regierenden Machthaber eine Pause verordnet - Protestaktionen gab es dennoch. Ein 16-jähriger Palästinenser wurde vergangenen Freitag erschossen, nachdem israelische Soldaten das Feuer auf eine Menschengruppe am Zaun eröffnet hatten.

Dass die Protestaktionen trotz der angekündigten Absage stattfanden, zeigt den schwindenden Einfluss der Hamas in der Bevölkerung und bei ihren Anhängern. Die seit 2007 im Gazastreifen regierende Gruppierung versucht sich in einer neuen Rolle: Ihre Führung setzt auf Diplomatie im Umgang mit Israel, nicht nur auf Raketen.

Auf heftige Kritik stieg die Zurückhaltung der Hamas nach der gezielten Tötungsaktion der israelischen Armee vor drei Wochen, bei der ein Führer des Islamischen Dschihad, Baha Abu al-Ata, umgebracht wurde. Rund 360 Raketen feuerte die zweitgrößte Gruppierung im Gazastreifen daraufhin auf Israel binnen zwei Tagen ab, die Hamas beteiligte sich nicht an der Vergeltungsaktion. Bei anschließenden Bombardierungen der israelischen Armee kamen 36 Menschen ums Leben. Wie der Islamische Dschihad bestätigte, waren die meisten Opfer Kämpfer ihrer Organisation. Allerdings wurden auch neun Mitglieder einer Familie getötet.

Radikale Gruppen stellen die Herrschaft in Frage

Den Unmut über die Inaktivität bekam die Hamas-Führung persönlich zu spüren: Als der hochrangige Hamas-Führer Mahmoud Zahar der Familie des getöteten Kommandanten des Islamischen Dschihad einen Kondolenzbesuch abstatten wollte, wurde er attackiert.

Die Hamas versuchte vergangenes Wochenende mit einzelnen Raketenabschüssen zu demonstrieren, dass man weiter gegen Israel kämpfe. Auch die wieder angesetzte Protestaktion am Freitag soll den Druck verringern. Aber einigen Kämpfern ist die früher stets als radikalislamisch bezeichnete Hamas zu wenig militant. Sie sind zum Islamischen Dschihad oder zu Salafisten übergelaufen, die Zulauf im Gazastreifen verzeichnen und die Herrschaft der Hamas infrage stellen.

Vergangenen August hatte ein Selbstmordattentäter einen Hamas-Milizionär mit in den Tod gerissen. Daraufhin ordnete die Hamas Razzien unter Salafisten an, es wurde von brutalen Maßnahmen berichtet. Damit wollten die Noch-Machthaber im Gazastreifen ein abschreckendes Exempel statuieren. Nach Einschätzung von Beobachtern wird die Lage für die Hamas dann gefährlich, wenn sich die verschiedenen versprengten Gruppen, die auch mit dem IS oder al-Qaida sympathisieren, zusammentun.

Die Hamas hofft, dass es tatsächlich zu einer längerfristigen Vereinbarung mit Israel kommt, die eine spürbare Verbesserung der Lage für die Bevölkerung bringt. Deshalb will sie die Verhandlungen nicht gefährden. Israel bestätigt die Gespräche offiziell nicht, aber es gibt Signale: Der neue Verteidigungsminister Naftali Bennett gab vor wenigen Tagen eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, um einen Hafen auf einer künstlichen Insel vor Gaza zu bauen.

Die Verhandlungen laufen unter ägyptischer Vermittlung. Erstmals durften in dieser Woche auch Hamas-Führer Ismail Hanijeh nach Ägypten reisen. Auch der Anführer des Islamischen Dschihad, Ziad al-Nahala, war bei den Gesprächen in Kairo dabei. Israel will neben einer dauerhaften Waffenruhe die Rückgabe der sterblichen Überreste zweier Soldaten, die im Gazakrieg 2014 getötet wurden. Die Hamas will vor allem eine Aufhebung der Blockade durch Israel und Ägypten, die nach ihrer Machtergreifung vor zwölf Jahren verhängt worden ist.

Um die Versorgungslage im Gazastreifen zu verbessern, ist die Hamas sogar zu einer Zusammenarbeit mit Amerikanern bereit. Die Hamas hat zugelassen, dass ein von evangelikalen Amerikanern zur Verfügung gestelltes Feldhospital, das bisher für die Behandlung von Syrern auf den Golanhöhen aufgebaut war, nun nahe des Grenzübergangs Erez errichtet wird. Die ersten Zelte der Organisation Friend Ships, für die Amerikaner als freiwillige Helfer tätig sind, stehen bereits. Das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium begründete die Zustimmung damit, dass "jeder Versuch, die Situation im Gesundheitssektor zu verbessern", willkommen sei.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4711406
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.12.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.