Seit 40 Tagen harre er hier aus, sagt ein Lkw-Fahrer, was gar nicht so lange sei im Vergleich zu manch anderem, der schon viele Monate darauf warte, dass die Grenze von Ägypten zum Gazastreifen wieder geöffnet wird. Sie haben Instant-Nudeln mit Chiligeschmack geladen, Pflanzenfett, Decken oder Benzin. Am Sonntagmorgen starten sie die Motoren, nach Wochen und Monaten des Wartens. Zäh geht es voran, die lang erwartete Hilfe, sie tröpfelt eher nach Gaza hinein. Am Horizont ist noch eine Rauchsäule zu sehen, bis zuletzt bombardierte die israelische Armee den Gazastreifen, weil die Hamas sich nicht an die Vereinbarung hielt, bis 8.30 Uhr Ortszeit die Namen der drei israelischen Geiseln zu nennen, die am Sonntagnachmittag freigelassen werden sollen. Keine Namen, kein Waffenstillstand, sagten die Israelis. Fast 20 Palästinenser starben durch die knapp dreistündige Verspätung. Danach sind nur noch die Freudenschüsse zu hören, die ein paar Hundert Meter weiter in die Luft gefeuert werden, inmitten all der Zerstörung. Zumindest das Sterben ist vorerst vorbei, nun soll wieder ausreichend Hilfe nach Gaza kommen. Kakaobeutel für die Kinder sind dabei, Säcke mit Zwiebeln und Kichererbsen. Seit Mai war der Grenzübergang Rafah geschlossen, der einzige Weg nach Gaza, der nicht über Israel führt. Etwa 600 Lkw mit Hilfsgütern sollen nun jeden Tag nach Gaza kommen, etwa zwölf Mal so viel wie zuletzt im Tagesdurchschnitt. Schon 40 Kilometer vor dem Grenzübergang Rafah stehen die Lkw Schlange auf der Straße, mehr als 4000 sollen es sein. Hilfsorganisationen hatten Israel vorgeworfen, zu wenig Hilfe durch die Übergänge zu lassen.
Nach einem Beschluss des israelischen Parlaments ist UNRWA von Ende Januar an eine illegale Organisation
Wie die Hilfe in Gaza verteilt werden wird, ist unklar; bisher war das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA die größte Hilfsorganisation in Gaza, die über Lagerhäuser und Lkw verfügt. Nach einem Beschluss des israelischen Parlamentes ist UNRWA von Ende Januar an aber eine illegale Organisation. Auch Rafah wird israelischen Beschränkungen unterworfen sein, die Armee wird weiter alle Lkw kontrollieren. Das Waffenstillstandsabkommen sieht eigentlich einen beginnenden Rückzug der israelischen Truppen aus dem Philadelphia-Korridor vor, einem Streifen entlang der Grenze zu Ägypten. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte aber am Sonntag, Israel werde seine Truppen dort verstärken, um einen möglichen Schmuggel von Waffen aus Ägypten zu verhindern. Die Hamas zeigte ihre Waffen ganz offen am Sonntag, ihre Kämpfer fuhren auf Pick-ups durch die Straßen, schwenkten die grüne Fahne der Terrororganisation. Auch Hamas-Polizisten in blauen Uniformen begannen wieder zu patrouillieren. Israel hatte sich während des ganzen Krieges geweigert, ein politisches Szenario für den Tag danach zu entwerfen. Nun ist er da, und die Hamas auch. Es gibt derzeit kein überzeugendes Konzept Israels, der USA oder der arabischen Staaten, wie Gaza ohne die Hamas verwaltet werden könnte. Militärisch ist sie geschwächt, sie hat mit dem Terror des 7. Oktober nichts erreicht außer der Zerstörung des Gazastreifens und letztlich auch zum fast völligen Zusammenbruch der von Iran finanzierten Achse des Widerstandes geführt: In Syrien wurde Baschar al-Assad gestürzt, in Libanon Hassan Nasrallah getötet, und selbst die Huthi stellen den Beschuss Israels vorerst ein. Die Hamas feiert sich in den Trümmern von Gaza dennoch als Siegerin.
Wie aus den Trümmern wieder ein Ort werden soll, an dem Menschen leben können, ist völlig unklar. US-Medien berichten von vagen Plänen der Trump-Regierung, womöglich Hunderttausende Palästinenser nach Indonesien auszusiedeln, für die Zeit des Übergangs. Ein verwegener Plan, dem wohl kaum ein arabisches Land zustimmen wird, birgt er doch die Gefahr einer dauerhaften Vertreibung.
Ägypten will angeblich Containerdörfer liefern, die aber nirgends in Sicht sind
Ägypten will angeblich Containerdörfer liefern, die aber nirgends in Sicht sind, und so bleibt vielen Palästinensern nichts übrig, als weiter in Zelten zu leben, nach UN-Angaben sind etwa 90 Prozent der Wohnungen zerstört oder beschädigt. Tausende Palästinenser machten sich am Sonntag dennoch auf den Weg in jene Orte, aus denen sie durch den Krieg vertrieben worden waren. Sie fuhren mit dem Auto, dem Eselskarren oder sie gingen zu Fuß. Manche hofften, dass von ihrem Haus noch etwas übrig sein könnte. Andere wollten wenigstens die Gräber der getöteten Verwandten sehen. Am Nachmittag sind etwa 260 Laster über die Grenze gefahren. Die ersten kommen am Nachmittag zurück. Auf einer Ladefläche liegen noch ein paar Kichererbsen. Das Abladen musste schnell gehen. Aber alle hätten gejubelt in Gaza, erzählt der Fahrer.