Gazastreifen:22 Stunden Kriegszustand

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Israel und die Hamas beschießen sich so heftig wie seit dem Jahr 2014 nicht mehr - vermeiden dann aber eine weitere Eskalation. Um einen neuen Krieg abzuwenden, vermittelte der Geheimdienst eines Nachbarlandes.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Ein HaShlosha

An der Außenwand des Gebäudes sind Schrapnell-Spuren zu sehen, auch auf dem Gehweg am Spielplatz hinter dem Kindergarten im Kibbuz Ein HaShlosha. Neben allerlei Spielzeug liegen auch Äste eines Baumes auf dem Boden, in den die Mörsergranate einschlagen hatte. Sie war aus dem rund drei Kilometer entfernten Gazastreifen abgefeuert worden. "Ich habe den Kindern immer wieder gesagt, unser Kindergarten ist der sicherste Platz", erzählt die Kindergärtnerin Tov Ludmer Gigi. Das Geschoss landete hier Dienstagfrüh, eine Stunde vor Öffnung des Kindergartens. Am Mittwoch war noch geschlossen, am Donnerstag war wie üblich geöffnet. "Weitermachen wie bisher" sei die Devise, erklärt auch Elan Isaacson, der für die Sicherheit von 32 der 67 israelischen Kommunen rund um den Gazastreifen verantwortlich ist.

Alle Seiten, auch die israelische Armee, haben sehr rasch auf Normalbetrieb umgeschaltet - so als hätte man sich nicht am Rande eines Krieges befunden. 22 Stunden dauerte die seit dem Ende des Gazakriegs 2014 heftigste militärische Auseinandersetzung. Es gab am Ende nur fünf Leichtverletzte und Sachschaden.

Dabei hätte die Lage jederzeit leicht eskalieren können: Begonnen hatte die Auseinandersetzung am Dienstag um 7 Uhr morgens mit Schüssen aus dem Gazastreifen über die Grenze, dann feuerten militante Palästinenser Mörsergranaten Richtung Israel, später Raketen. Vier Stunden später reagierte die israelische Armee mit Luftschlägen, die letzte Welle gab es gegen 23 Uhr. Danach heulten noch mehrere Male Sirenen in israelischen Orten in der Nähe des Gazastreifens, zum letzten Mal am Mittwoch um 5.15 Uhr - auch in Ein HaShlosha.

Mehr als 120-mal gab es Alarm, mehr als hundert Mörsergranaten und Raketen wurden in den 22 Stunden Richtung Israel abgefeuert. Israel hatte das Raketenabwehrsystem Iron Dome ("Eisenkuppel") nach dem Gazakrieg 2014 so aufgerüstet, dass nun auch Mörsergranaten abgefangen werden können. Damit dürfte der Islamische Dschihad nicht gerechnet haben, meinen israelische Militärexperten, weil zuerst nur Mörsergranaten geschickt wurden. Rund 40 Geschosse wurden auf israelischer Seite abgefangen oder landeten auf offenem Feld.

Die israelische Armee griff insgesamt 60 Ziele im Gazastreifen an und konzentrierte sich auf militärische Anlagen, sodass es keine zivilen Opfer gab: Einrichtungen zur Herstellung von Drohnen und Mörsergranaten sowie Trainingscamps.

Ägypten überbrachte der Hamas die israelische Antwort auf das Angebot einer Waffenruhe

Auch wenn Israel offiziell die Hamas verantwortlich macht, so steckt auch diesmal nach Einschätzung von Militär- und Geheimdienstexperten nicht die im Gazastreifen regierende Organisation hinter den Angriffen - genauso wenig wie sie für den Beschuss aus dem Gazastreifen nach der Jerusalem-Entscheidung von US-Präsident Donald Trump verantwortlich war. Es hatte auch seitens der Hamas keine Vergeltungsaktion für die in den vergangenen Wochen am Grenzzaun erschossenen 120 Palästinenser gegeben. Damit will die Hamas auch die Argumentation aufrecht erhalten, es habe sich vor allem um friedliche Demonstrationen gegen die israelische Blockade und die USA gehandelt.

Als aber vergangenen Sonntag drei Mitglieder des Islamischen Dschihad durch israelischen Panzerbeschuss getötet worden waren, ließ sich die Gruppe nicht mehr zurückhalten. Sie hat auch noch eine Rechnung aus dem Vorjahr offen: Bei der Zerstörung eines Tunnels aus dem Gazastreifen Richtung Israel durch das israelische Militär wurde rund ein Dutzend ihrer Aktivisten getötet. Der Islamische Dschihad griff an: ohne aktive Unterstützung der Hamas, aber mit Billigung - worauf die später veröffentlichte gemeinsame Erklärung schließen lässt. Andere militante Gruppen wie salafistische Organisationen beteiligten sich, bis die Hamas - auch unter dem Druck Ägyptens - in den frühen Morgenstunden ein Ende des Raketenbeschusses befahl. Ägypten hatte sich als Vermittler eingeschaltet, wirkte mäßigend auf die Hamas ein und überbrachte die Reaktion auf das Angebot einer Waffenruhe aus Gaza: Israel werde auf Ruhe mit Ruhe reagieren.

Die jüngste Eskalation zeigt nach Einschätzung des UN-Nahostgesandten Nikolay Mladenov, wie nah Israel und die Hamas "jeden Tag am Rande eines Krieges" stehen. Mladenov, der Israel wegen der vielen Toten bei der Gaza-Grenze heftig kritisiert hatte, verlangte diesmal eine Verurteilung der Angriffe der Hamas durch die internationale Gemeinschaft.

© SZ vom 01.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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