Sauberes Wasser ist knapp im Gazastreifen. Paula Navarro, 35, arbeitet als Wasser- und Abwasserkoordinatorin für die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“. Sie ist dort für acht Wochen im Einsatz.
SZ: Frau Navarro, Sie sind vor zwei Wochen das erste Mal in den Gazastreifen gekommen. Was waren Ihre ersten Gedanken?
Paula Navarro: Es ist ziemlich eindrucksvoll. Wir alle haben die Bilder in den Nachrichten gesehen, aber diese ersten Minuten, wenn man in den gepanzerten Fahrzeugen sitzt und von der Wüste in die komplett zerstörten Städte fährt und die extreme Masse an vertriebenen Menschen sieht – es sind einfach Zelte über Zelte über Zelte. Das macht einen sprachlos.
Wie sieht der Alltag der Menschen dort aus?
Die meisten sind mehrfach vertrieben worden. Weil nur noch wenige Häuser übrig sind, kommen darin sehr viele Menschen gleichzeitig unter. Mehrere Familien teilen sich zum Teil ein Zimmer. Aber die meisten Menschen leben unter freiem Himmel, in prekären Zelten, die nicht vor Regen schützen. Hier, an der Küste von Al-Mawasi, kamen die Menschen früher zum Picknicken an den Strand. An diesem Strand leben jetzt viele Leute. Sie haben keine andere Wahl, als sich den schwierigen Bedingungen anzupassen.

Sie kümmern sich in Gaza für die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ um die Wasserversorgung. Die Menschen haben aktuell nur noch sehr wenig Wasser zur Verfügung.
Ja, es gibt so wenig Trinkwasser, dass die Menschen gezwungen sind, verschmutztes Wasser oder Salzwasser zu trinken. Das führt zu Krankheiten. Das ist gerade für die Kinder gefährlich, die durch den Mangel an Lebensmitteln und wichtigen Nährstoffen sowieso schon geschwächt sind. Wenn sie nun noch Durchfall bekommen, verlieren sie zusätzlich Nährstoffe – mit der Konsequenz, dass Mangelernährung zu einem immer größeren Problem wird.
Woher bekommen die Menschen ihr Wasser?
Vor dem Krieg hatten die Menschen fließendes Wasser zu Hause. Nun sind die meisten vertrieben und es braucht Organisationen wie unsere, die Wasser aus Entsalzungsanlagen in den Gazastreifen bringen. Aber diese Lastwagen müssen lange Wege zurücklegen und es gibt bei Weitem nicht genügend von ihnen, weitere werden im Grenzgebiet blockiert. Deshalb stehen die Leute schon früh am Morgen mit ihren Kanistern in langen Schlangen an den Wasserausgabestellen. Das kann Stunden dauern und es ist im Moment sehr kalt und regnerisch in Gaza. Wenn sie dann durchnässt in ihre Zelte zurückkehren, können sie sich nicht aufwärmen. Es ist kein Wunder, dass Atemwegserkrankungen eine der häufigsten Krankheiten im Gazastreifen sind. Für kleine Kinder ist das besonders gefährlich, gerade wenn sie bereits mangelernährt und geschwächt sind. So landen sie schnell im Krankenhaus – aber das Gesundheitssystem ist vollkommen überlastet.
Was machen die Leute, wenn sie bei der Lieferung leer ausgegangen sind?
Wenn die Trucks nicht kommen, weil zum Beispiel Benzin fehlt oder weil es Angriffe gab, sieht man häufig Kinder mit leeren Kanistern von einer Ausgabestelle zur anderen wandern. Ihre Eltern versuchen in der Zeit, Essen zu organisieren oder sich ein wenig Geld zu erarbeiten. Wenn es kein sauberes Wasser gibt, nehmen sie irgendwelches, auch dreckiges. Oft gibt es nur wenige Kanister, sie sind schon kaputt oder geklebt und werden von den Familien gehütet wie ein Schatz. Im Kanister mischt sich allerdings oft sauberes und verschmutztes Wasser. Die schlechte Hygiene ist eine tickende Zeitbombe für den Ausbruch von Krankheiten. Wir hatten bereits Ausbrüche von Polio und Hepatitis A.
Wie gehen die Menschen mit der Situation um?
Glücklicherweise teilen sie oft miteinander und helfen einander. Aber das ist keine Lösung. Sobald die Lastwagen kommen, springen auch viele Leute auf den Wagen und versuchen, schnell etwas zu ergattern. Um mit dem Wassermangel klarzukommen, setzen viele Menschen ihre Prioritäten beim Trinken und Kochen. Das heißt, Waschen oder Duschen kommt zu kurz und viele leiden unter Hautkrankheiten wie Krätze.
Was bräuchte es, um die Situation zu verbessern?
Einen Waffenstillstand, das ist das Allererste. Die Grenzen müssen geöffnet werden. Für den Wiederaufbau von Wasseraufbereitungsanlagen oder Entsalzungsanlagen fehlen Baumaterialien und Benzin, es fehlt der Strom. Wassertanks sind eine Lösung, aber von ihnen gibt es im Gazastreifen viel zu wenige und die Einfuhr von weiteren wird blockiert. Und wie soll man beispielsweise eine Kläranlage wieder aufbauen, wenn ein Sack Zement so wie jetzt 300 Dollar kostet? So kann man gerade nichts reparieren.