Süddeutsche Zeitung

Gaza:Plötzlich Verständigung

Zwischen Israel und der Hamas wird im Geheimen verhandelt. Die Terrorgruppe könnte zu einer politischen Bewegung mutieren.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv/Gaza

Es ist überraschend, dass diese Information überhaupt an die Öffentlichkeit gelangte: Das israelische Sicherheitskabinett hat sich am Sonntag zum ersten Mal mit dem Inhalt einer möglichen Vereinbarung mit der Hamas beschäftigt. Denn offiziell bestätigen weder Israel noch die im Gazastreifen regierende radikalislamische Hamas, dass überhaupt Verhandlungen stattfinden. Die Gespräche werden auch nicht direkt geführt, sondern laufen über Ägypten und UN-Vertreter. Nun berichteten Medien, der nationale Sicherheitsberater Meir Ben-Schabat habe die Ministerrunde über die bisherigen Fortschritte informiert. Am Mittwoch sollen die Beratungen fortgesetzt werden.

Die Hamas-Führung hat offensichtlich die strategische Entscheidung getroffen, dass nur eine Verständigung mit Israel die schlechte ökonomische Situation im Gazastreifen verbessern kann. Deshalb setzt sie nun auf Diplomatie statt auf Raketen. Um die Verhandlungen nicht zu gefährden, hat sich die Hamas Mitte November nicht an der Angriffswelle des Islamischen Dschihad beteiligt. Nach der gezielten Tötung dessen Anführers Baha Abu Al-Ata durch die israelische Armee feuerte die zweitgrößte Gruppe mehr als 400 Raketen ab, die auch Tel Aviv erreichten.

Vergangenen Donnerstag wurde im Gazastreifen verkündet, dass die seit 30. März 2018 andauernden Proteste an der Grenze vorerst eingestellt werden. Erst zum Jahrestag im März soll wieder protestiert werden, ab dann einmal pro Monat. Mindestens 256 Palästinenser waren in den vergangenen Monaten von israelischen Soldaten getötet, rund 20 000 verletzt worden. Angesichts der hohen Opferzahl gab es in der Bevölkerung im Gazastreifen immer mehr Kritik an der von der Hamas kontrollierten Protestbewegung, die ursprünglich von Bürgern gestartet worden war.

Von Israel wurden zwei Bedingungen für einen längerfristigen Waffenstillstand genannt: Die Hamas sollte weitere Auseinandersetzungen an der Grenze verhindern und Raketenangriffe stoppen. Nach Geheimdienstangaben wurden in diesem Jahr 1500 Raketen auf Israel abgefeuert. Ihrerseits verlangen die Palästinenser nicht nur eine Lockerung, sondern eine Aufhebung der Blockade, die Israel und Ägypten über den Gazastreifen nach der Machtergreifung der Hamas 2007 verhängt haben. Außerdem fordern sie eine Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge ins heutige Israel.

Israel soll sich bereit erklärt haben, in einem ersten Schritt palästinensischen Arbeitskräften aus dem Gazastreifen Einreisegenehmigungen zu erteilen, die Fischereizone vor dem Küstenstreifen auszuweiten und sowie die Lieferung medizinischer Ausrüstung an Krankenhäuser zu ermöglichen. Treibende Kraft für eine Übereinkunft ist auf israelischer Seite die Armee. Generalstabschef Aviv Kochavi erklärte jüngst, derzeit sei eine günstige Gelegenheit. Er befürwortet Gespräche auch mit Blick auf die iranische Bedrohung, auf die sich Israel nun konzentrieren könne.

Iran könnte auch für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu das zentrale Argument sein, um Gegner einer Vereinbarung im Kabinett umzustimmen. Der gerade ernannte Verteidigungsminister Naftali Bennett hatte bisher Konzessionen gegenüber der Hamas abgelehnt. Auch Benny Gantz, Chef des blau-weißen Parteienbündnisses und Ex-Militärchef, hatte wiederholt ein härteres Vorgehen im Gazastreifen gefordert. Die Parlamentswahl in Israel in zwei Monaten könnte nach Einschätzung von Militärexperten freilich ein Hindernis für eine baldige Übereinkunft sein.

Dass Israel mit der Hamas, wenn auch indirekt, verhandelt, zeugt von einem Entwicklungsprozess: Die Terrororganisation wandelt sich zu einer politischen Bewegung. Auch die palästinensische Befreiungsorganisation PLO fand erst nach Jahren internationale Anerkennung, genauso wie sich in Europa das Bild von der Terrorgruppe ETA in Spanien oder der IRA in Nordirland erst mit der Zeit wandelte.

Die EU-Staaten und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein. Kontakte gibt es nur über Schweizer Diplomaten. Inzwischen sind aber auch Vertreter aus EU-Staaten dafür, das Kontaktverbot aufzuheben. Von deutscher Seite wird als Bedingung die Aufhebung der Passage aus der Gründungscharta der Hamas von 1988 genannt, das Israel ein Existenzrecht abspricht. Auch wenn im Wahlmanifest von 2005 diese Position aufgeweicht wurde, gilt die Charta offiziell noch. Spätestens wenn die Wahlen in den palästinensischen Gebieten stattfinden und die Hamas wie 2006 als Sieger hervorgehen sollte, muss auch die EU ihre Position überdenken.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4740219
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.12.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.