Gaza:Mit Macht lockt der Feind

Israel hat Fatah-Flüchtlingen die Einreise gewährt - aus humanitären Gründen, heißt es. Doch dahinter steckt auch eigennütziges Kalkül.

Von Thorsten Schmitz

Die Haltung ist eindeutig. "Ich lasse mich lieber vom israelischen Feind festnehmen, als von den eigenen Landsleuten getötet zu werden." Mit diesem Satz brachte ein Fatah-Mann, der am Wochenende vom Gaza-Streifen in die Obhut Israels geflohen war, die Absurdität des jüngsten Bruderkampfs auf den Punkt.

Gaza: Ein Fatah-Kämpfer, der zunächst nach Israel einreisen konnte, wird wieder zurück in den Gazastreifen transportiert.

Ein Fatah-Kämpfer, der zunächst nach Israel einreisen konnte, wird wieder zurück in den Gazastreifen transportiert.

(Foto: Foto: Reuters)

Seit 25. Juli liefern sich Mitglieder der Hamas und der Fatah-Gruppe von Palästinenserpräsident Machmud Abbas im Gaza-Streifen heftige Gefechte. Es geht um die Hoheit im Armenhaus Gaza-Streifen, dessen Grenzen zu Israel und zu Ägypten gesperrt sind, weshalb man auch von Gaza als dem "Gefängnis mit Meerblick" spricht.

Seitdem die Hamas im Juni des vergangenen Jahres die Macht im Gaza-Streifen an sich gerissen und alle Fatah-Gefolgsleute aus den Institutionen der Autonomiebehörde vertrieben hat, herrscht Hamas über 1,5 Millionen Palästinenser und damit auch über Tausende arbeitslose Fatah-Angestellte der Autonomiebehörde, die seit einem Jahr zu Hause sitzen und dennoch aus Ramallah im Westjordanland, wo Abbas und Premierminister Salam Fajad regieren, monatlich ihre Gehälter erhalten.

Am Freitag vorletzter Woche indes brach die alte Feindschaft zwischen Hamas und Fatah wieder auf. In einem Strandcafé von Gaza-Stadt kamen bei einer Bombenexplosion fünf Hamas-Männer und ein sechsjähriges Mädchen ums Leben.

Hamas vermutet als Drahtzieher den Fatah-Führer Mohammed Dachlan, der nach dem Putsch aus dem Gaza-Streifen geflohen war. Dutzende Fatah-Mitglieder sind seitdem festgenommen und zum Teil in Hamas-Gefängnissen gefoltert worden, unter anderen auch der palästinensische Kameramann der ARD.

Einflussreicher Chilles-Clan bittet um Asyl

Im Visier hat Hamas die Mitglieder des einflussreichen Familien-Clans Chilles, dessen Hochburg im Sadschaja-Viertel von Gaza-Stadt liegt. Am Wochenende begann Hamas mit Razzien im Wohnviertel der Chilles und nahm Dutzende Familienmitglieder fest.

Die Chilles sind der Fatah treu. Bei Gefechten wurden elf Palästinenser getötet, 180 Fatah-Leuten, darunter Dutzende vom Chilles-Clan, gelang die Flucht. Sie baten ausgerechnet Israel um Asyl, da sie im Gaza-Streifen um ihr Leben fürchteten.

Nach Rücksprache mit der Palästinenserführung in Ramallah gewährte die Armee den Gaza-Flüchtlingen die Einreise nach Israel und die Weiterreise nach Jericho ins Westjordanland. Die Männer mussten sich bis auf die Unterhosen aus- und Augenbinden anziehen, 23 verletzte Fatah-Männer wurden in israelische Krankenhäuser gebracht.

In der Nacht zu Montag revidierte Abbas überraschend sein Einverständnis und befahl den Rücktransport der unverletzten Fatah-Flüchtlinge in den Gaza-Streifen. Inoffizielle Begründung: Abbas und Fajad wollten keinen Präzedenzfall schaffen und einer Ausreisewelle von Fatah-Mitgliedern und Hamas-Überdrüssigen Vorschub leisten.

Gaza-Streifen soll nicht Fatah-frei sein

Die Chilles-Familie hat bis zur Machtübernahme der Hamas in den vergangenen Jahren im Gaza-Streifen quasi mitregiert. Ihre als korrupt und kriminell verschrieenen Mitglieder besetzten Schlüsselpositionen in der Autonomiebehörde und verfügen auch über ein großes Arsenal an Waffen.

Die Regierung in Ramallah steht auf dem Standpunkt, dass der Gaza-Streifen nicht Fatah-frei sein darf. Also begann Israel, die ersten Fatah-Flüchtlinge wieder in den Gaza-Streifen zu transferieren. Als jedoch erste Meldungen bekannt wurden, dass die Rückkehrer unverzüglich von den Hamas-Polizisten festgenommen und in Gefängnisse transportiert wurden, stoppte die israelische Armee den Rücktransport, weil sie um das Leben der Fatah-Flüchtlinge fürchtet.

Die Männer wurden am Montag aber dann doch nach Ramallah gebracht. Clan-Chef Achmed Chilles sagte vom Krankenhausbett aus, er werde zunächst in Israel bleiben. Der 56 Jahre alte Stammesführer gab zu, er fürchte um sein Leben, streitet aber ab, dass sein Clan an dem mysteriösen Bombenanschlag beteiligt gewesen war: "Die Hamas will einfach nicht eine starke und große Familie wie unsere im Gaza-Streifen. Sie wollen die Alleinherrschaft, deshalb verfolgen sie uns."

Die israelische Armee schmückte sich am Montag mit der Pressemitteilung, sie habe den Rücktransport der Fatah-Flüchtlinge aus humanitären Gründen gestoppt. Doch die Armee hat auch ein eigennütziges Interesse an den Flüchtlingen. Israel gewährt ihnen das Leben, dafür müssen sie wertvolle Informationen liefern. Die Flüchtlinge werden vom israelischen Geheimdienst ausgefragt über die Hamas-Herrschaft im Gaza-Streifen und über die Raketenwerfer.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: