Waffenruhe im Gazastreifen:Die ersten Geiseln sind frei

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In Tel Aviv verfolgen die Menschen die Übertragung des Austausches. (Foto: Shir Torem/REUTERS)

Nach einer Verzögerung beginnt die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas. Diese lässt drei Frauen frei. Den Rechtsextremen in Israels Regierung geht die Vereinbarung allerdings zu weit. Deshalb droht Premier Netanjahu bereits damit, den Krieg fortzusetzen.

Von Matthias Kolb

Auch wenn die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen am Sonntagvormittag erst mit knapp drei Stunden Verspätung in Kraft trat, verzögerte sich die Freilassung der drei ersten israelischen Geiseln kaum. Um kurz nach 16 Uhr nahm ein Team des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) Romi Gonen, Doron Steinbrecher und Emily Damari in Empfang. Die Zivilistinnen hatten mehr als 15 Monate in der Gewalt der Islamisten verbringen müssen. Das IKRK sorgt nach der am Mittwoch in Katar getroffenen Vereinbarung dafür, die Geiseln nach Israel zu ihren Angehörigen zu bringen.

Die drei Frauen, die 24, 28 und 31 Jahre alt sind, sollen laut israelischen Medien in das Scheba-Hospital in Ramat Gan nahe Tel Aviv gebracht werden. Sie seien in „guter Verfassung“, meldete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf das israelische Militär. Seit Tagen laufen in Israel Vorbereitungen, die freigelassenen Geiseln vor der Öffentlichkeit abzuschirmen. Im Gegenzug sollten die israelischen Sicherheitsbehörden im Laufe des Sonntags 90 palästinensische Häftlinge freilassen. Sie sollen ins besetzte Westjordanland oder nach Gaza gebracht werden.

Eigentlich hätten die Kämpfe bereits um 7.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit stoppen sollen, doch am Morgen warf Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu der Hamas vor, die Namen der drei Frauen entgegen der Vereinbarung nicht übermittelt zu haben. Israels Luftwaffe flog daher weitere Angriffe, bei denen nach palästinensischen Angaben 19 Menschen starben.

Nach UN-Angaben sind 4000 Lastwagenlieferungen mit Hilfe für den Gazastreifen vorbereitet

Ob wirklich „technische Probleme“ vorlagen, wie die Hamas beteuerte, oder dies Teil einer psychologischen Kriegsführung war, bleibt offen. Israelische und westliche Geheimdienste sind sich nicht sicher, ob die Hamas den Aufenthaltsort und Gesundheitszustand aller 98 Geiseln kennt. Ein Drittel von ihnen könnte verstorben sein. 251 Menschen waren am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppt worden, nachdem die Hamas und andere Terrorgruppen bei ihrem Überfall auf Israel fast 1100 Israelis und 71 Ausländer ermordet hatten. Klar ist aber: Seit 10.15 Uhr gilt die für zunächst sechs Wochen vereinbarte Waffenruhe, und in den ersten Stunden wurde sie eingehalten. 33 Geiseln sollen in der ersten Phase freikommen: vor allem Frauen, Kinder, Ältere und Kranke.

Eine Demonstrantin in Israel zeigt ein Foto von Emily Damari. (Foto: Tomer Appelbaum/Reuters)

Die drei ersten Frauen haben alle die israelische Staatsbürgerschaft. Die 31 Jahre alte Steinbrecher hat zudem einen rumänischen Pass und wurde wie Damari, 28, aus dem Kibbuz Kfar Aza entführt. Damari besitzt auch die britische Staatsbürgerschaft. Gonen, 24, war am 7. Oktober 2023 vom Supernova-Musikfestival entführt worden.

Romi (Meirav Leshem) Gonen wurde vom Supernova-Festival entführt. (Foto: Gonen Family/Reuters)

Die erste Phase der Vereinbarung sieht auch vor, dass die zwei Millionen Zivilisten im Gazastreifen von Ägypten aus besser mit Lebensmitteln versorgt werden. Nach Angaben der Vereinten Nationen leiden 90 Prozent der Menschen im Küstenstreifen unter Hunger; es seien 4000 Lastwagenlieferungen vorbereitet. Die Gesundheitsbehörde im Gazastreifen, die der Hamas nahesteht und deren Aussagen nicht zu überprüfen sind, teilte am Sonntag mit, dass seit Beginn der israelischen Angriffe mindestens 46 913 Menschen getötet worden seien.

Doron Steinbrecher auf einem Plakat der Organisation Bring Them Home Now. (Foto: Hostages Families Forum/AFP)

Die rechtsextreme Partei Otzma Jehudit steigt aus der Regierungskoalition aus

Am Sonntagvormittag verließ Itamar Ben-Gvir, der bisherige Minister für Nationale Sicherheit, wie angekündigt die Regierung Netanjahus. Aus Protest gegen das Abkommen verlässt auch die sechsköpfige Fraktion von Ben-Gvirs rechtsextremer Partei Otzma Jehudit die Koalition, sodass Netanjahu nur noch 62 von 120 Abgeordneten hinter sich weiß.

Auch wenn ihn mehrere Oppositionsparteien wohl stützen würden, um alle Geiseln nach Israel zu holen, müht sich Netanjahu erkennbar darum, Bezalel Smotrich und dessen „Religiöse Zionisten“-Partei bei Laune zu halten. So drohte er in einer Ansprache am Samstagabend damit, die Kämpfe im Gazastreifen wieder aufzunehmen, wenn sich die vereinbarte Waffenruhe als sinnlos erweisen solle. Er habe dafür den Rückhalt des designierten US-Präsidenten Donald Trump wie auch seines Vorgängers Joe Biden, behauptete der 75-Jährige.

„Falls wir zum Kampf zurückkehren müssen, werden wir das auf neue, energische Weise tun“, sagte er, ohne Details zu nennen. Trumps Sicherheitsberater Mike Waltz sagte am Sonntag dem Sender CBS, die USA würden Israel dabei unterstützen, „zu tun, was es tun muss“, wenn Hamas das Abkommen verletzen würde. Trump selbst teilte auf seinem Netzwerk Truth Social nur mit, dass Geiseln freikommen würden und „drei wundervolle junge Frauen“ die ersten seien. Der Republikaner hatte Israels Premier unter Druck gesetzt, das Abkommen mit der Hamas zu schließen, und wünscht sich eine Beruhigung der Lage in Nahost.

Während die militärisch geschwächte Hamas eine Garantie für das Ende des Krieges fordert, betonte Netanjahu, dass Israel „alle seine Kriegsziele“ im Gazastreifen erreichen werde. Von dort soll das Land nicht mehr bedroht werden können. Zudem sollen alle Geiseln zurückkehren sowie die militärischen und administrativen Fähigkeiten der Hamas „eliminiert“ werden. Auch Trump-Berater Waltz sagte bei CBS, es sei „völlig inakzeptabel“, dass die Hamas in Gaza regiere.

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