Zehn Monate. Seit fast zehn Monaten tobt der Krieg im Gazastreifen, es begann als Gegenangriff der israelischen Armee nach der Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober, bei der etwa 1200 Israelis ermordet wurden und mehr als 200 verschleppt – viele davon sind bis heute Geiseln der Hamas, Kinder, Kranke und Frauen. Faustpfand für einen Waffenstillstand, seit Monaten wird darüber verhandelt. Seit Monaten sagen vor allem die USA, dass eine Lösung kurz bevorstehe, so zuletzt am Wochenende, als sich die Unterhändler wieder in Rom trafen.
Die Lage nach der Tötung von Hamas-Chef Ismail Hanija in Teheran unübersichtlich zu nennen, wäre eine Untertreibung. Vielleicht kommt es zu einem großen Krieg, vielleicht zu einer überschaubaren Vergeltungsaktion. Keiner weiß es. Sicher ist, zu einem schnellen Waffenstillstand in Gaza wird es nun nicht kommen. Die Hamas wird dazu noch weniger bereit sein als zuvor. Ihr politischer Kopf Hanija war zu Zugeständnissen viel eher bereit als die militärische Führung in Gaza um Jahia Sinwar. Auf der anderen Seite deutet wenig darauf hin, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bereit wäre, eine Lösung für die Zeit nach dem Krieg zu suchen.
Für Gaza bedeutet der Tod von Hanija, dass das Sterben weitergehen wird. In diesen Tagen wird die Zahl der Toten die Marke von 40 000 Palästinensern überschreiten, so die Daten der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde, die sich bisher als einigermaßen zutreffend erwiesen haben. Wer noch am Leben ist, der hungert. Die Zahl der Lastwagen, die Hilfe bringen sollen für die eingeschlossenen Palästinenser, tendiert gerade gegen null. An keinem Tag in den vergangenen fünf Wochen sind es nach Angaben der UN mehr als 76 gewesen, im Schnitt sind es nicht einmal 30. Gebraucht würden 300 Lkws pro Tag, um eine minimale Versorgung sicherzustellen. Frisches Obst und Gemüse sind auf fast allen Märkten ausverkauft, es gibt zumeist Fertignahrung aus Dosen, wenn überhaupt.
Im Abwasser wurden Polio-Viren entdeckt
Das Gesundheitswesen ist weitgehend zusammengebrochen. Hunderttausende leiden an Hautkrankrankheiten, Durchfall und Fieber, es gibt kaum Medikamente. Im Abwasser von Gaza-Stadt wurden Polio-Viren entdeckt. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass bereits Menschen infiziert sind. Eine Million Impfdosen sollen verteilt werden, sofern es die Sicherheitslage zulässt. Die Grenze zu Ägypten ist seit Wochen geschlossen, medizinische Notfälle können nicht mehr außerhalb des besetzten Gebietes behandelt werden.
Ende Juli ist in Gaza eigentlich eine Zeit des Feierns. Die Ergebnisse der Abschlussprüfungen in den Schulen werden bekannt geben, neue Lebensabschnitte beginnen, junge Frauen und Männer gehen auf Universitäten oder beginnen eine Ausbildung. Nicht in diesem Jahr, die Schulen sind zerstört, es gibt schon lange keinen Unterricht mehr. Zum ersten Mal seit der Nakba, der Vertreibung Hunderttausender Palästinenser nach der Staatsgründung Israels 1948, gibt es keine Prüfungen, keine Abschlüsse. Viele Tausend Schüler sind nicht mehr am Leben.