Sie sollen gestorben sein, als sie ums Überleben kämpften, nach Nahrung suchten, nach etwas Essbarem nach der langen Blockade. Vier Menschen sollen nach Angaben der Vereinten Nationen am Mittwoch ums Leben gekommen sein, als Tausende Palästinenser ein Lagerhaus der UN stürmten, um verzweifelt nach Lebensmitteln zu suchen. Zwei sollen nach Angaben der Gesundheitsbehörden in Gaza zerdrückt worden sein, zwei erschossen; von wem, blieb unklar. Metallwände des Lagerhauses wurden eingerissen, Menschen trugen Säcke mit Lebensmitteln davon. Der Sturm auf die Lagerhalle sei ein Zeichen der „alarmierenden und sich verschlechternden Bedingungen vor Ort“, teilte das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen mit.
Einen Tag zuvor hatte die von Israel und den USA unterstützte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) begonnen, Hilfsgüter zu verteilen. An zwei Punkten im Gazastreifen konnten sich Palästinenser in von israelischen Soldaten und privaten Sicherheitsfirmen eingerichteten Abholstellen Nahrungspakete abholen. Dabei kam es zu chaotischen Szenen, die Menschen durchbrachen Absperrgitter, die israelische Armee eröffnete das Feuer. Die Behörden in Gaza teilten mit, ein Mensch sei dabei ums Leben gekommen, 48 seien verletzt worden. Insgesamt soll es also allein bei der Verteilung der Lebensmittel am Dienstag und Mittwoch fünf Tote gegeben haben.
Die UN werfen Israel einen „Angriff auf die Menschenwürde“ vor
Die GHF dementierte jedoch, dass es zu Todesfällen gekommen sei. „Die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt und der Tod von Zivilisten können nicht toleriert werden“, sagte Kaja Kallas, die Spitzendiplomatin der Europäischen Union, und fügte hinzu, dass Hilfe „niemals politisiert oder militarisiert werden“ dürfe.
Die GHF wurde von Israel und den USA ins Leben gerufen und hat nach eigenen Angaben bisher ein Budget von 100 Millionen US-Dollar, will Spender aber nicht nennen. Die Stiftung setzt Sicherheitsunternehmen als Auftragnehmer ein, die von ehemaligen US-Marines und CIA-Mitarbeitern betrieben werden. Die Vereinten Nationen und alle namhaften Hilfsorganisationen beteiligen sich nicht an dem Verteilmechanismus. Israel sagt, die GHF stelle sicher, dass keine Hilfsgüter in die Hände der Hamas gelangten. Am Mittwoch meldete die israelische Armee den Tod von Mohammed Sinwar, dem Militärchef der Hamas in Gaza und Bruder von Jahia Sinwar, dem Drahtzieher des terroristischen Überfalls auf Israel am 7. Oktober 2023.
Die Vereinten Nationen hatten stets bestritten, dass die Hamas in der Vergangenheit in großem Stil Lebensmittel gestohlen habe. Israel wolle vielmehr die Vereinten Nationen boykottieren, denen es immer wieder Parteinahme zugunsten der Palästinenser vorwirft.
Die Umgehung der Vereinten Nationen durch Israel sei ein „Angriff auf ihre Menschenwürde“, sagte ein UN-Sprecher. Nach Angaben des GHF seien bisher etwa 30 000 Lebensmittelpakete verteilt worden. Bedürftige Palästinenser müssen dafür oft kilometerlange Märsche hinter sich bringen. Demnächst sollen zwei weitere Ausgabestellen eröffnet werden. Das würde eine Gesamtzahl von vier solcher Posten für etwa 2,2 Millionen Menschen ergeben.
Der Druck auf Israel steigt
Viel zu wenig, sagen Hilfsorganisationen. Sie kritisieren, dass Israel die Hilfspunkte nur im Süden ansiedele, um Palästinenser dauerhaft dorthin zu bewegen, und schließlich womöglich aus Gaza zu vertreiben. Der Gründungsdirektor von GHF, Jake Wood, hatte am Sonntag seinen Rücktritt bekanntgegeben und erklärt, es sei unmöglich, seine Arbeit im Einklang mit humanitären Grundsätzen zu bringen.
„Wir haben bereits ein Verteilungssystem für Hilfsgüter, das seinen Zweck erfüllt“, sagte Philippe Lazzarini, der Leiter der UN-Agentur für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA). Das Verteilungsmodell sei eine Verschwendung von Ressourcen und eine Ablenkung von „Gräueltaten“. Israel setzte seine Angriffe auf den Gaza-Streifen in den vergangenen Tagen unvermindert fort, die türkische Hilfsorganisation IHH meldete, dass fünf ihrer Mitarbeiter bei Angriffen getötet worden seien.
Viele europäische Länder hatten in den vergangenen Tagen den Druck auf Israel erhöht, mehr Hilfe für Gaza zuzulassen. Neben der GHF können auch die Vereinten Nationen und andere Hilfsorganisationen nach einer elfwöchigen Totalblockade durch Israel wieder Hilfe nach Gaza bringen, allerdings nur etwa 100 Lkw pro Tag. Während eines Waffenstillstands im März waren es über 600 täglich.
Womöglich gibt es demnächst ein weiteres Zeitfenster: Aus dem Weißen Haus kam am Donnerstag die Mitteilung, Israel habe einen US-Vorschlag für eine zeitlich begrenzte Waffenruhe im Gaza-Krieg angenommen. Israelischen Medienberichten zufolge sieht der Plan eine 60-tägige Waffenruhe vor. Ihres Wissens nach habe die islamistische Hamas dem Plan bislang allerdings noch nicht zugestimmt, sagte eine Sprecherin des US-Präsidenten Donald Trump.
Großbritannien überlegt Medienberichten zufolge, Sanktionen gegen Itamar Ben-Gvir, den Minister für nationale Sicherheit, und Bezalel Smotrich, den Finanzminister, zu erlassen, sollte nicht mehr Hilfe nach Gaza kommen. Beide gehören zum extremen Flügel der israelischen Regierung. Smotrich sagte kürzlich: „Wir demontieren den Gazastreifen, lassen ihn in Trümmern zurück, mit einer beispiellosen Zerstörung, und die Welt hat uns noch immer nicht aufgehalten.“

