Private Sicherheitsfirmen:Geld verdienen mit der Not in Gaza

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Die Frage ist, wie Menschen im Norden des Gazastreifens, hier in Beit Lahia, versorgt werden sollen. (Foto: OMAR AL-QATTAA/AFP)

Die Menschen im abgeriegelten Norden der Region sind von jeder Versorgung abgeschnitten. Nun schlagen private Unternehmen vor, Hilfslieferungen zu organisieren – gegen Bezahlung und mit Unterstützung von Söldnern.

Von Sonja Zekri, Tel Aviv

Für die einen ist Nord-Gaza die Hölle auf Erden, für andere hingegen eine unternehmerische Chance. Sicherheitsfirmen beispielsweise könnten demnächst an Millionenaufträge kommen. Sie rivalisieren bereits offen um die Versorgung des Nordens mit humanitärer Hilfe, den Schutz von Konvois oder die Einrichtung sogenannter „safe havens“, also geschützter Zonen. Es könnte der Beginn einer Kommerzialisierung des Gaza-Krieges sein.

Von den ursprünglich 500 000 Menschen leben noch 2000 Palästinenser in Nord-Gaza, schätzt die israelische Zeitung Haaretz unter Berufung auf Verteidigungskreise. Einige sind nie geflohen, andere wurden so oft vertrieben, dass sie nun zurück in den Norden gekehrt sind, sicher ist es ohnehin nirgends, so die Logik. Die staatliche Ordnung ist zusammengebrochen. Gelangt einer der raren Konvois in den Norden, wird er israelischen Medien zufolge von bewaffneten Banden angegriffen. Die Hamas wiederum kassiere Tausende Dollar pro Konvoi, den sie durchlässt, oder sie stehle die Fracht und verkaufe sie.

Im Oktober hat die israelische Armee Panzer und Infanterie in den Norden des Gaza-Streifens geschickt und ihn praktisch abgeriegelt. Einige Regionen sind seitdem vollständig von der Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser, Medikamenten, Decken und Winterkleidung abgeschnitten. Kaum ein Haus ist noch bewohnbar. Vor ein paar Tagen griff die israelische Armee das letzte verbliebene große Krankenhaus an, die Kamal-Adwan-Klinik, und zwang alle Kranken und selbst Schwerverletzte, es zu verlassen. Die Kamal-Adwan-Klinik sei eine Terrorhochburg, so die Begründung, sein Direktor Hussam Abu Safiya ein Hamas-Mitarbeiter.

Der Hilfsorganisation UNRWA hat Israel die Arbeit unmöglich gemacht

Israel habe versucht, lokale Clan-Chefs mit der Verteilung von Hilfsgütern zu beauftragen, heißt es, aber diese seien ebenfalls bedroht und angegriffen worden und lehnten weitere Aufträge ab. Zu allem Überfluss kann die UN-Hilfsorganisation UNRWA ab Ende des Monats nicht mehr im Gazastreifen operieren, weil per Knesset-Beschluss ein Kontaktverbot israelischer Behörden mit der UNRWA verhängt wurde.

In dieser düsteren Lage bleibt nach Ansicht des israelisch-amerikanischen Geschäftsmannes Mordechai „Moti“ Kahana nur ein Ausweg. Eine private Firma, vorzugsweise sein Unternehmen GDC, müsse mit der Versorgung der Not leidenden Menschen in Nord-Gaza beauftragt werden. In einem Telefonat zwischen New Jersey, wo er lebt, und Tel Aviv verweist Kahana auf seine bisherigen Erfolge: In Israel ist er mit einer Mietwagen-Firma zu Geld gekommen, blickt als GDC-Chef auf die Rettung von Juden aus Syrien und Jemen und von Frauen aus Afghanistan zurück, auf die Lieferung von Hilfsgütern in die Ukraine. Und jetzt Nord-Gaza.

Der israelisch-amerikanische Geschäftsmann Moti Kahana. (Foto: Wikimentor1/Wikimedia)

Gleich nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem Beginn des Gaza-Krieges habe er sich an die israelischen Behörden mit einem Vorschlag gewandt. „Ich sagte ihnen: Lasst es nicht die Soldaten machen, die haben keine Ahnung von Hilfslieferungen“, erinnert er sich: „Die Menschen verhungern und werden versuchen, sie zu stehlen. Die Soldaten werden ausflippen und schießen.“ Und genau so sei es dann ja auch gekommen, als bei einem Mehltransport nach Gaza-Stadt im vergangenen Februar mehr als 100 Menschen starben.

Werde aber alles so gemacht, wie er sich das denkt, dann könnte nicht nur die Not der Menschen in Nord-Gaza gelindert werden, dann entstünden sichere Zufluchten, „safe havens“, dann ließe sich die Landschaft des Todes wieder in ein behütetes Gemeinwesen verwandeln. US-General Petraeus habe es in Bagdad vorgemacht, so Kahana, genau so könne es auch in Gaza laufen.

Ein Team kommt mit Wasserpistolen, ein zweites mit scharfen Waffen

Nun gehen die Meinungen über das Wirken der USA in Bagdad sehr auseinander, und die Details von Kahanas Plan werfen zumindest Fragen auf. Folgendes stellt er sich vor: Ein Team seiner Firma solle in Absprache mit der lokalen Gemeinde mit einem Konvoi aus beispielsweise fünf Autos und 20 Lastwagen in den Norden des Gaza-Streifens fahren, nicht mit Waffen ausgerüstet, sondern mit Wasserpistolen, Megafonen und Farbkanonen. Sollten sie angegriffen werden, träte das zweite, bewaffnete Team einer anderen Firma auf den Plan. Ursprünglich hätten diese Bewaffneten einer britischen Söldner-Firma angehören sollen, inzwischen schlägt Kahana eine Kooperation mit der US-Holding Constellis vor, zu der auch Academi gehört – ein Militärunternehmen, das unter seinem früheren Namen Blackwater berüchtigt für brutale Einsätze im Irak war.

Es sind also doch wieder Männer mit Waffen im Spiel, zudem Söldner, die Kahana selbst einst „Kriegs-Junkies“ genannt hat. Hilfsorganisationen lehnen den Schutz durch Bewaffnete, ob privat oder staatlich, in der Regel ab, weil sie nicht als Konfliktpartei betrachtet werden möchten. Kahana sieht da keinen Widerspruch: „Die Leute mit den Waffen sind doch diejenigen, die Hilfsgüter seit einem Jahr stehlen, Banden, Hamas, Kriminelle, Mafia, wie auch immer man sie nennen will.“

100 Bewaffnete sollen auch den „sicheren Hafen“ in der Stadt Beit Hanun schützen. Eine „gated community“ wie in Miami solle entstehen, nur ohne Pool und Golfplatz, hatte Kahana in einem Interview gescherzt. Dort sollen die Palästinenser Hilfsgüter abholen können, erläutert er nun: „Sie haben ihre eigene Polizei, Schulen, Kindergärten, Essen. Sie können ein neues Leben beginnen.“

Die Konkurrenz steht schon bereit

Aber wie sicher wäre der „sichere Hafen“, wenn die israelische Armee darin Hamas-Kämpfer vermutet? Und wie will Kahana die palästinensischen Communitys zur Kooperation überreden, nachdem sie früher bereits angegriffen wurden? Anders als in seiner Version eines idyllischen Nachkriegs-Gaza ist derzeit nicht einmal klar, wie viel Gazastreifen die Palästinenser nach Kriegsende noch bewohnen werden können.

Derzeit breitet sich die israelische Armee Monat für Monat aus, berichtet Haaretz. Entlang der Grenze, im immer breiter werdenden Netzarim-Korridor in der Mitte und im Norden entstehen Straßen, Posten und Mobilfunkanlagen, die eher auf eine jahrelange militärische Präsenz hindeuten. Bereits jetzt gleicht der Norden einer „militärischen Enklave“. Viele vermuten, dass es doch auf eine Umsetzung des sogenannten „Plans der Generäle“ hinauslaufen könnte, auf den Vorschlag des ehemaligen Generals Giora Eiland. Er regte an, alle Menschen in Nord-Gaza ultimativ aufzufordern, die Gegend zu verlassen. Wer bleibe, sei als Hamas-Kämpfer zu betrachten und könne ausgehungert werden.

Kahana betrachtet seinen Plan nicht nur als humaner, sondern im Zweifel auch als kostengünstiger. 200 Millionen Dollar für sechs Monate hat er veranschlagt, finanziert von den USA, schließlich sei GDC erstens eine US-Firma und sein Plan ein Schnäppchen gegenüber den 320 Millionen Dollar, die die USA für einen unbrauchbaren Hilfsgüter-Pier ausgegeben haben.

Auf die israelische Regierung setzt er nicht, dafür habe er sie zu oft kritisiert. Mehr noch: Premier Netanjahu sei mit Schlomi Fogel, dem Chef der Konkurrenzfirma Orbis, befreundet und könnte diesem den Auftrag zuschanzen, fürchtet Kahana: „Fogel hat Zement nach Gaza verkauft. Und jetzt soll er Hilfsgüter liefern?“ Anders als für Fogel sei für ihn, Kahana, zudem eines ausgeschlossen: „Wenn in Gaza jüdische Siedlungen entstehen, bin ich raus.“ Genau dies, so fürchten viele, wird irgendwann der Fall sein.

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