Süddeutsche Zeitung

EZB-Urteil:Gauweiler lässt nicht locker

Der frühere CSU-Vizechef misstraut der Einschätzung des Bundestags, die Anleihenpolitik der Europäischen Zentralbank sei rechtens. Eine weitere Klage gegen die EZB behält er sich vor.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Der Streit um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen das Anleihenkaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank ist entgegen den Verlautbarungen aus Bundesregierung und Bundestag nicht beigelegt. Dieser Ansicht ist einer der Kläger, der frühere CSU-Vizechef Peter Gauweiler. Er kenne die von der EZB zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht und könne sich deshalb kein Urteil bilden, sagte Gauweiler am Dienstag der Süddeutschen Zeitung. "Es ist noch keine Entscheidung getroffen. Ich warte zuerst auf die Fakten."

Die Fakten, das sind die von der EZB freigegebenen Dokumente, die belegen sollen, dass die Notenbank bei ihrem Beschluss des Aufkaufprogramms die wirtschaftlichen Auswirkungen in den einzelnen Ländern abgewogen habe. Die deutschen Richter hatten daran gezweifelt. Sie sahen "erhebliche ökonomische Auswirkungen auf nahezu alle Bürgerinnen und Bürger, die als Aktionäre, Mieter, Eigentümer von Immobilien, Sparer und Versicherungsnehmer" betroffen seien. Sie hatten Bundestag und Bundesregierung aufgefordert, bei der EZB darauf hinzuwirken, binnen drei Monaten die Verhältnismäßigkeitsprüfung offenzulegen. Andernfalls dürfe die Bundesbank nicht mehr am Aufkaufprogramm teilnehmen.

Die Aufgabe war heikel, da die Notenbank politisch unabhängig ist und keine Anweisungen entgegennehmen darf. Zuletzt aber hatte sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde doch noch zuversichtlich gezeigt. Das Problem sei "lösbar", schrieb sie am Montag in einem Brief an den Europaabgeordneten Sven Simon (CDU). Die EZB-Chefin hatte bereits vor einigen Tagen Unterlagen freigegeben und die deutsche Bundesbank ermächtigt, diese der Bundesregierung und dem Bundestag zuzuleiten. In Berlin waren die Dokumente über das Wochenende gesichtet worden.

Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP hatten sich am Montag auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag geeinigt, in dem die von den Richtern gestellten Auflagen als "erfüllt" angesehen werden. Dieser Ansicht ist auch die Bundesregierung. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat angekündigt, die EZB-Unterlagen nach Karlsruhe weiterzuleiten.

Gauweiler will dort umgehend Akteneinsicht beantragen. "Dann werden wir sehen, ob die Voraussetzung erfüllt ist, dass die Bundesbank sich weiter an dem Aufkaufprogramm beteiligen darf." Sollten die Unterlagen das Urteil nicht erfüllen, "werde ich dessen Vollstreckung beantragen", sagte der Rechtsanwalt. "Der Bundesbank wird dann untersagt, sich weiter an den Anleihenkäufen zu beteiligen."

Von einer Klage gegen das neue, wegen der Pandemie aufgelegte Aufkaufprogramm der EZB (PEPP) hat Gauweiler bisher abgesehen, obwohl er es für "noch problematischer" hält als das frühere, "weil die EZB nicht mehr entsprechend der Anteile der Staaten am Euro-System aufkauft". Eine Klage macht er davon abhängig, wie Bundestag und Bundesregierung jetzt gegenüber Karlsruhe auftreten. "Daran wird man sehen, wie ernst sie die Haushaltsautonomie des Parlaments nehmen."

Gauweiler hatte im Jahr 2016 Verfassungsbeschwerde gegen PSPP eingereicht, weil die EZB mit dem massenhaften Aufkaufen von Staatsanleihen ihr Mandat überschreite. Der Europäische Gerichtshof hatte das EZB-Programm im Jahr 2018 für rechtens erklärt. Die deutschen Richter hatten sich nicht an dieses Urteil gebunden gefühlt und Anfang Mai 2020 befunden, dass das Aufkaufprogramm massive wirtschaftliche Auswirkungen habe.

Ihre Begründung ist aber umstritten. "Im Vertrag über die Arbeit der EU ist explizit festgelegt, dass die Notenbank die Wirtschaftspolitik unterstützen soll, sofern sie nicht der Geldpolitik schadet", sagt der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger der SZ. Die Richter sollten eigentlich wissen, dass Wirtschafts- und Währungspolitik nicht zu trennen seien. "Da die Notenbank mit ihren Zinsentscheidungen immer die Wirtschaft im Ganzen beeinflusst, ist Geldpolitik zwangsläufig Wirtschaftspolitik."

Unter den Abgeordneten hatte es zunächst heftigen Streit darüber gegeben, wie vertraulich die insgesamt sieben Dokumente der EZB behandelt werden sollten. Scholz hatte verfügt, sie seien in der "geheimen Schutzstelle" des Bundestags zu lagern. Dort dürfen sie nur auf Antrag von einzelnen Abgeordneten gelesen werden. Vor allem die Grünen hatten interveniert. Es gleiche einem "Treppenwitz, wenn Karlsruhe mehr Transparenz fordert, die Unterlagen aber geheim bleiben", sagte Europaexpertin Franziska Brantner. Vier der Dokumente sind nun frei zugänglich. Am Donnerstag wird das Plenum darüber debattieren.

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SZ vom 01.07.2020
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