Gauck über den Ukraine-Krieg:Deutsche Besserwisser

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Wie geht es im Krieg in der Ukraine weiter? Ukrainische Soldaten blicken nahe der ostukrainischen Stadt Debaltseve in die Ferne. (Foto: AFP)

Kein Zweifel: Russlands Präsident Putin gefährdet mit der Aggression in der Ostukraine Europas Frieden. Doch Deutschland sollte sich nicht als großer Besserwisser in Geschichte gerieren. Indem Joachim Gauck den Opfern von gestern historische Lektionen erteilt, verpasst er die wichtigste Mahnung.

Kommentar von Joachim Käppner

Der lethargische Gutsbesitzer Oblomow und sein etwas zwanghafter Verwalter Stolz, ein Russe und ein Deutscher, sind die ungleichen Hauptpersonen im Hauptwerk des Schriftstellers Iwan Gontscharow. Landsleute werfen Oblomow diese Beziehung vor: "Was du dir da für einen Wohltäter ausgesucht hast, einen verfluchten Deutschen, einen durchtriebenen Schwindler!" Oblomow entgegnet: "Er steht mir näher als alle Verwandten; ich bin mit ihm zusammen aufgewachsen, habe mit ihm gelernt und werde solche Schimpfworte nicht erlauben."

Der Roman "Oblomow" von 1859 bietet noch heute den fernen Widerschein einer tiefen Verbundenheit, die es, vor den Weltkriegen, zwischen Deutschen und Russen gab. Deutsch war die Sprache der Gebildeten in Sankt Petersburg. Fast zwei Millionen deutsche "Kolonisten" lebten zwischen Riga und Wolga; gelegentlich lobten die Zaren diese besonders obrigkeitstreuen Untertanen: "Eine glänzende Lektion erteilen die Deutschen unserem Patriotismus."

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Bei vielen in Russland genießt Deutschland weiterhin Ansehen und Sympathie, trotz der Apokalypse, die Hitlers Heere 1941 über das Land brachten. Noch bei der Wiedervereinigung 1990 zeigte sich Gorbatschows Sowjetunion so entgegenkommend, weil sie die Deutschen als verlässliche Partner für die Zukunft sah; doch war das rote Imperium da bereits nicht mehr zu retten.

Peinliche NS-Vergleiche

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Es ist schon deshalb, mild formuliert, kein glücklicher Einfall von Joachim Gauck gewesen, Putin auf dem Umweg über Polen zu einer Art von Hitlers Wiedergänger zu erklären. Indirekt zwar, aber erkennbar; und das noch ausgerechnet in einer Gedenkrede in Polen über den Beginn des Zweiten Weltkriegs und ohne auf den deutschen Vernichtungskrieg in der Sowjetunion seit 1941 einzugehen - zu dem doch der Polenfeldzug 1939 nur der erste Schritt war.

Ein großes, wenn nicht das große Thema des Präsidenten ist die Freiheit - und der beklagenswerte Mangel an Empathie bei manchen Deutschen für Menschen, deren Freiheit bedroht ist. Das ist oft bedenkenswert und auch biografisch bedingt, der DDR-Bürger Gauck erlebte die Zeitenwende von 1989 als persönliche Befreiung. Es wird jedoch immer sehr schnell sehr peinlich, wenn ausgerechnet deutsche Politiker zur Begründung ihres Handelns mit NS-Vergleichen hantieren, gleich ob sie Milošević, George Bush jr. oder nun Putin damit traktierten. Einem Bundespräsidenten steht die Rolle dessen, der Deutschlands Opfer von gestern über die Moral von heute belehrt, erst recht nicht.

Vielleicht wäre das im Verhältnis zu Russland eine wirksamere Lehre aus der Geschichte, wie sie Gauck beschwor: mehr Bescheidenheit wagen, mehr Zurückhaltung - wie sie die Kanzlerin übt, zuletzt auf dem Nato-Gipfel. Zu Recht drang sie darauf, das Nato-Russland-Abkommen nicht aufzukündigen und daher keine Stützpunkte des Bündnisses in Osteuropa zu schaffen. Wer Putins Regierung für den Bruch des Völkerrechtes rügt, sollte selber vertragstreu bleiben. Nur so bleiben Brücken bestehen, die noch sehr nötig sein werden.

So kurios das Verständnis wirkt, das Putins Gewaltpolitik bei manchen Linken findet - die Gegenposition, die das alte Feindbild Russland aufpoliert und Putin zum Beelzebub unserer Epoche erklärt, ist nicht viel gescheiter. Kein Zweifel: Putins Regierung, die zu Hause besorgte russische Soldatenmütter zu ausländischen Agenten erklärt, gefährdet mit der Aggression in der Ostukraine Europas mühsam errungene Kultur des Friedens. Deutschlands Rolle aber ist nicht die des großen Besserwissers in Geschichte. Denn diese Geschichte hat es mitgeschrieben, mit Blut und Asche; die Abermillionen Tote, die SS und Wehrmacht hinterließen, sind in Russland Teil eines kollektiven Traumas. Allzu markige Worte, die Putin treffen sollen, wirken auch auf das russische Volk verletzend.

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Von Jan Bielicki

Allein diese Vergangenheit macht die derzeit bei vielen Mahnern und Warnern beliebte Behauptung, der Westen wiederhole die Appeasement-Politik der Dreißigerjahre, so wohlfeil. Auch Gaucks Rede lief ja letztlich darauf hinaus. Falsch ist die Parallele außerdem. In der Ukraine ging es, bisher, um einen Regionalkonflikt um das Erbe der Sowjetunion - ein schändlicher Krieg um mehrheitlich russischsprachige Gebiete, an dem Putin sicher die Hauptschuld trägt, zu dem die Ukraine aber auch das Ihre beigetragen hat.

In den Dreißigern aber ging es um die existenzielle Herausforderung der freien Welt durch Hitler, einer Welt, die anders als heute nicht durch machtvolle Allianzen und Gemeinschaften gesichert war. Die Beschwichtigungspolitiker in Paris und London verrieten 1938 sogar ihre Verbündeten in Prag, um eines Friedens willen, der doch nie zu retten war. Sie versäumten es, Hitler mit militärischer Gewalt zu stoppen, solange sie noch die Macht dazu besaßen. Erst Winston Churchill, der den Charakter des Nazistaates früh erkannt hatte, schleuderte Hitler 1940 sein berühmtes "We shall never surrender" entgegen, wir werden uns niemals ergeben. Die Demokratie in Europa schlug endlich zurück.

Militärisches Eingreifen darf keine Option sein

Aber das ist Geschichte, keine Gebrauchsanweisung für die Gegenwart. Man kann verstehen, dass sich die osteuropäischen Nato-Staaten vor Putins Traum eines "Noworossja" fürchten - doch ist Angst ein schlechter Ratgeber, besonders für Militärbündnisse. Der Westen ist nicht schwach, es sei denn, man hält Augenmaß für Schwäche. Er verhängt Sanktionen, und die Abschreckung durch die Nato bleibt, zumal nach dem Gipfel und dem Obama-Besuch in Estland, für ihre Mitglieder glaubwürdig.

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Deutschland war oft der Mittler zwischen den Russen und Europa, ja, aus Sicht der Russen war Deutschland eigentlich Europa. Beide Nationen haben einander im vergangenen Jahrhundert viel Leid zugefügt; und doch ist das Verhältnis der beiden Völker zueinander heute bemerkenswert frei von Feindseligkeit. Das sind gute Voraussetzungen für Deutschland, wie in der Ära Brandt die Rolle dessen einzunehmen, der die Hand nach Osten ausstreckt. Solche Moderation ist oft frustrierend, aber ohne Alternative.

Wer jetzt fordert, die angebliche westliche "Leisetreterei" zu beenden, muss sich fragen lassen: Was soll das konkret heißen? Ein militärisches Eingreifen im Donbass darf keine Option sein und ist es auch nicht - will man nicht einen Weltkrieg riskieren, was sich kein vernünftiger Mensch wünschen kann. Der Konflikt dort ist mit Hass aufgeladen, einem Hass, der nicht weichen wollte, dem Hass aus einer brutalen Geschichte. Wer aus dieser Geschichte lernen will, sollte Feindbilder abbauen und nicht beschwören.

© SZ vom 06.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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