Gauck-Nachfolge:So platzte Merkels Coup mit Marianne Birthler

German Chancellor Merkel looks on during a joint news conference with Spain's Prime Minister Rajoy at the chancellery in Berlin

Die Absage von Marianne Birthler dürfte einer der unangenehmsten Anrufe in Angela Merkels politischem Leben gewesen sein.

(Foto: REUTERS)

Die frühere Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde war der letzte Trumpf der Kanzlerin. Das Protokoll der gescheiterten Suche nach einem schwarz-grünen Bundespräsidenten.

Von Robert Roßmann, Berlin

Angela Merkel ist das elfte Jahr Kanzlerin, die Frau hat einige Enttäuschungen erlebt. Aber dieser Anruf dürfte einer der unangenehmsten in ihrem gesamten politischen Leben sein.

Es ist Sonntag, der 13. November. Für 15 Uhr ist das entscheidende Treffen Merkels mit den Chefs von SPD und CSU zur Nachfolge von Joachim Gauck vereinbart. SPD-Chef Sigmar Gabriel ist mit seinem Vorstoß für Frank-Walter Steinmeier in der Offensive. Die Kanzlerin hat nur noch einen Trumpf in der Hand, mit dem sie die Wahl Steinmeiers zum Bundespräsidenten verhindern kann: eine Überraschungskandidatin, mit der sie die Wende im Poker um das höchste Staatsamt erzwingen will.

Von der Öffentlichkeit unbemerkt hat sich Merkel bereits der Unterstützung der Grünen versichert, zusammen mit ihnen hat die Union die Mehrheit in der Bundesversammlung. Doch dann ruft die Frau kurz vor dem Beginn des Parteivorsitzenden-Gesprächs bei der Kanzlerin an - und sagt ab. Merkel steht plötzlich ohne Bewerber da und muss Steinmeier akzeptieren. Schlimmer hätte es für die CDU-Chefin kaum laufen können.

Wie konnte das passieren? Und wer ist die Frau, die in den vielen Wochen der Berichterstattung über mögliche Gauck-Nachfolger nie im Rampenlicht stand?

Schon einmal folgte Birthler Gauck nach

In dieser erstaunlichen Geschichte geht es um Marianne Birthler. Die heute 68-Jährige wurde als Bürgerrechtlerin in der DDR bekannt. Nach der Wende landete sie schnell bei Bündnis 90/Die Grünen. Von 1990 bis 1992 war sie Bildungsministerin in Brandenburg, von 2000 bis 2011 leitete sie als Nachfolgerin Gaucks die Stasi-Unterlagenbehörde. Danach wurde es eher still um Birthler - sie ist niemand, der sich in den Vordergrund drängt. Wie kann so jemand der letzte Trumpf der Kanzlerin werden?

In der CDU haben sie lange gehofft, Norbert Lammert würde sich doch noch zu einer Kandidatur für die Gauck-Nachfolge überreden lassen. Doch spätestens am 6. November ist Merkel und Seehofer klar, dass sich der Bundestagspräsident nicht mehr umstimmen lassen wird. Am 7. November nimmt Lammert an der morgendlichen Sitzung des CDU-Präsidiums teil und kann sich dort das allgemeine Bedauern über seine Absage anhören.

Bereits in dieser Sitzung sagen einige CDU-Granden, unter ihnen die stellvertretenden Parteichefs Volker Bouffier und Armin Laschet, die CDU solle nicht um jeden Preis einen Unionskandidaten aufstellen; das Risiko, gegen Steinmeier zu verlieren, sei zu groß. Die beiden letzten möglichen CDU-Kandidaten in der politischen Liga Steinmeiers, Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen, scheint Merkel nicht zu einer Kandidatur drängen zu wollen. Sie braucht beide als Führungsreserve. Außerdem hätte zumindest Schäuble kaum eine Chance, Steinmeier in der Bundesversammlung zu bezwingen.

Merkel sucht die schwarz-grüne Lösung

Merkel beginnt deshalb, sich offensiv um eine schwarz-grüne Lösung zu bemühen. Die Kanzlerin möchte jetzt Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann auf den Schild heben. Doch schon an diesem 7. November wird klar, dass es in der CSU erhebliche Vorbehalte gegen den Grünen gibt.

Bei einem Treffen der Spitzen der CSU-Landtagsfraktion und der CSU-Landesgruppe zeigt sich, dass viele CSU-Abgeordnete bei einer Wahl zwischen Kretschmann und Steinmeier eher für den Außenminister stimmen würden. Ein Votum für Kretschmann würde den geplanten Anti-Rot-Rot-Grün-Wahlkampf der Union unglaubwürdig machen, finden sie bei der CSU. Außerdem schätzt die Partei Steinmeier, auch wegen seiner Russland-Politik.

Am 9. November ruft Seehofer die CSU-Spitze zu einer Telefonkonferenz. Das Ergebnis ist eindeutig: Die CSU wird Kretschmann nicht mittragen. Der Kanzlerin ist jetzt klar, dass ihr Einsatz für den Grünen gescheitert ist. Tags darauf ruft sie in ihrer Not Marianne Birthler an.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber hatte die Frau intern schon vor vielen Wochen vorgeschlagen. Ein Emissär hatte Birthler im Oktober in der Reha-Klinik besucht, in der sie sich nach einer Knie-Operation erholte. Birthler zeigte damals kein sonderliches Interesse, wollte aber auch nicht endgültig absagen, heißt es. Schon damals stellen aber manche mit Interesse fest, dass Birthler den Aufruf von DDR-Bürgerrechtlern für die Wahl Lammerts zum Bundespräsidenten nicht unterschreibt. Ist das ein Zeichen, dass sie doch will?

Birthler ist prinzipiell bereit - erbittet sich aber Bedenkzeit

Als Merkel Birthler anruft, signalisiert diese tatsächlich ihre prinzipielle Bereitschaft zu einer Kandidatur, erbittet sich aber Bedenkzeit. Merkel schließt sich mit Seehofer kurz. Der CSU-Chef lehnt Birthler nicht kategorisch ab, anders als Kretschmann ist sie bei den Grünen politisch nicht mehr aktiv. Seehofer möchte Birthler aber noch zu ihren aktuellen Positionen - etwa in der Russland- oder Flüchtlingspolitik - befragen.

Merkel und Seehofer vereinbaren, dass das die Spitzen von CDU und CSU gemeinsam machen sollen. Am 12. November fliegt Steinmeier zu Seehofer. Die beiden besprechen sich in der Staatskanzlei. Dabei informiert Seehofer den Außenminister auch über die Variante Birthler. Später am Tag berät sich der CSU-Chef am Rande des Augsburger Presseballs auch mit seinem Vor-Vor-Vorgänger Theo Waigel - der goutiert die Idee, mit Birthler zu reden.

Es läuft also gar nicht schlecht für Merkel. Doch am nächsten Tag ruft Birthler bei der Kanzlerin an, sagt ab - und Steinmeier gewinnt.

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