Gauck-Absage wegen Timoschenko:EM-Gastgeber Ukraine fürchtet die Isolation

Gauck war nur der Anfang: Nach der Absage der Jalta-Reise des Bundespräsidenten erhöht der Westen den Druck auf Janukowitsch. Auch in der eigenen Bevölkerung verliert der ukrainische Präsident an Rückhalt. Die junge Generation schämt sich für dessen Umgang mit der Kritikerin Timoschenko. Die Furcht vor der Isolation wächst.

Antonie Rietzschel

Alexandra Osipenko schämt sich. Die 21 Jahre alte Radio-Journalistin schämt sich für ihr Land und für ihren Präsidenten. "Wir wollen doch Teil der EU werden und jetzt das", sagt sie im Gespräch mit der SZ.

Supporters of former Ukraine's Prime Minister Yulia Tymoshenko hold a rally before the hearings on Tymoshenko's appeal against her jail sentence outside a court building in Kiev

Anhänger von Julia Timoschenko demonstrieren in Kiew. Die Inhaftierung der früheren Regierungschefin hat Bundespräsident Gauck bewogen, eine Reise in die Ukraine abzusagen.

(Foto: REUTERS)

"Das" ist die Weigerung des Bundespräsidenten Joachim Gauck, in die Ukraine zu reisen. Das deutsche Staatsoberhaupt sagte ein Präsidententreffen in Jalta auf der Halbinsel Krim kurzerhand ab. Aus Protest gegen die Misshandlung der ehemaligen ukrainischen Regierungschefin Julia Timoschenko, die seit Oktober wegen angeblichen Amtsmissbrauchs im Gefängnis sitzt - geschwächt durch einen Bandscheibenvorfall, der bislang nicht medizinisch behandelt wurde. Seit Freitag befindet sie sich außerdem im Hungerstreik.

Sechs Wochen vor der Fußball-EM erleidet die Ukraine einen gewaltigen Imageverlust. Es ist ja nicht nur Gauck: Menschenrechtler nutzen seine Absage, um auf die mangelhafte Menschenrechtssituation in der Ukraine aufmerksam zu machen. Und andere Politiker ziehen nach. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Martin Löning von der FDP, sprach von einem "sehr klaren Signal". Die Menschenrechtspolitikerin der CDU, Erika Steinbach, betonte, der Umgang mit Julia Timoschenko widerspreche allen Menschenrechtsstandards. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton forderte die Ukraine auf, jeder Klage über Folter oder andere Formen grausamer Behandlung unverzüglich und unparteiisch nachzugehen.

Auch in den ukrainischen Medien beherrscht Gauck die Schlagzeilen. Zur Freude von Menschen wie Wadim Piwowarow. Der Bundespräsident zeige mit dem Finger auf die großen Missstände in der Ukraine, sagt der Menschenrechtsaktivist im SZ-Gespräch. Dadurch wachse der Druck auf Janukowitsch, endlich etwas zu ändern.

Tatsächlich hat der Präsident reagiert - wenn auch nur zaghaft. Janukowitsch kündigte eine Untersuchung der Misshandlungsvorwürfe an: Er habe die Generalstaatsanwaltschaft angewiesen, der Frage nachzugehen, sagte der Präsident am Donnerstag.

Dabei gibt es schon längst Erkenntnisse: Bei der Verlegung in ein Krankenhaus in Charkiw (Charkow) sei Timoschenko von Gefängnismitarbeitern geschlagen worden, heißt es von offizieller Seite. Am Mittwoch bestätigte die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, dass ihr Ombudsmann bei einer Untersuchung in der Gefängniszelle an Timoschenkos Körper Blutergüsse am rechten Oberarm und am Ellbogenbereich, aber vor allem am rechten Unterbauch festgestellt habe.

Das Ergebnis von Misshandlungen? Dazu schweigt der Präsident.

Die Journalistin Alexandra Osipenko beschäftigt sich seit Jahren mit Janukowitsch, der im Zuge der Orangefarbenen Revolution 2004 auf das Präsidentenamt verzichten musste, nachdem ihm Wahlbetrug vorgeworfen wurde. Bei der Neuwahl des Präsidenten Anfang 2010 setzte er sich als Kandidat gegen Julia Timoschenko durch.

"Dann wäre er Timoschenko los"

Osipenko kann die Ignoranz des Präsidenten nicht verstehen. Sie befürchtet, dass ihr Land sich immer weiter isoliert. Dabei sei es besonders der jungen Generation wichtig, dass die Ukraine irgendwann in die EU eintrete.

Der Schritt ist in weite Ferne gerückt. Die Beziehung zwischen Brüssel und Kiew sei nicht zuletzt durch den Fall Timoschenko nachhaltig erschüttert, meint auch der Korrespondent André Eichhofer, der in der Ukraine für das Journalistennetzwerk n-ost (Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung) arbeitet. Förderprogramme der EU für das Land könnten eingestellt werden, ausländische Politiker dem Land fernbleiben. Offiziell aus Zeitmangel, inoffiziell aus Protest gegen die Menschenrechtssituation.

Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass der Westen und die Ukraine aneinandergeraten: Nach der Verurteilung von Timoschenko im Oktober 2011 hatte sich Janukowitsch zu einem Besuch in Brüssel angekündigt. Die EU sagte den Termin kurzerhand ab.

Auch jetzt wird Timoschenko wieder zum Problem des ukrainischen Präsidenten. Eines, das nach Aussagen von André Eichhofer leicht zu lösen wäre: "Wenn er Julia Timoschenko zur Behandlung nach Deutschland reisen lassen würde, wäre er sie los."

Die Bundesregierung hatte bereits Mitte April angeboten, Timoschenko wegen ihres schweren Rückenleidens in Deutschland behandeln zu lassen. Kiew lehnte das ab. Berlin erneuerte das Angebot am Mittwoch. Timoschenko wehrt sich gegen jede Behandlung in einem ukrainischen Krankenhaus, weil sie weitere Gesundheitsschäden befürchtet.

Der in Kiew lebende Journalist Eichhofer vermutet, dass Timoschenko nach ihrer Genesung in Berlin nicht mehr in die Ukraine zurückkehren würde. Im Ausland könnte sie zwar weiter gegen Janukowitsch opponieren. Doch der Präsident könnte die Kritik im Inland zumindest herunterdimmen - und könnte die vollständige Isolation der Ukraine rechtzeitig abwenden, bevor im Juni die ganze (Fußball-)Welt nach Kiew schaut.

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