Süddeutsche Zeitung

Energieversorgung:Gas kostet Familien Hunderte Euro mehr

Wirtschaftsminister Habeck nennt die Gasumlage die "gerechtestmögliche Form", die Zusatzkosten für die Beschaffung zu verteilen. Kanzler Scholz kündigt ein weiteres Entlastungspaket an.

Von Paul Munzinger, München

Gaskunden müssen sich im Herbst auf deutlich höhere Preise einstellen. Je Kilowattstunde fällt vom 1. Oktober an eine Gasumlage von 2,419 Cent an. Das teilte Trading Hub Europe am Montag mit, ein Gemeinschaftsunternehmen der Gas-Fernleitungsnetzbetreiber in Deutschland. Die Umlage soll die Gasimporteure unterstützen, die ausbleibende Lieferungen aus Russland ersetzen müssen und dabei mit massiv gestiegenen Preisen auf dem Weltmarkt konfrontiert sind. Sie sei die "gerechtestmögliche Form, die zusätzlich aufgelaufenen Kosten in der Bevölkerung zu verteilen und zu tragen", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Die Alternative wäre Habeck zufolge nicht der Verzicht auf eine Gasumlage gewesen, sondern "der Zusammenbruch des deutschen Energiemarktes".

Deutschland, so der Wirtschaftsminister, habe ein Geschäftsmodell entwickelt gehabt, "das zu großen Teilen auf der Abhängigkeit von billigem russischem Gas beruhte und damit auch auf einer Abhängigkeit von einem Präsidenten, der das Völkerrecht missachtet, dem die liberale Demokratie und ihre Werte erklärte Feinde sind. Dieses Modell ist gescheitert, und es kommt auch nicht wieder". Bei der Umstellung der Energieversorgung müsse Deutschland auch "bittere Medizin" zu sich nehmen, sagte Habeck. Dazu gehöre die Rettung von Unternehmen, die in Schieflage geraten sind. Russlands Präsident Wladimir Putin habe die Gaslieferung "willkürlich unterbrochen".

Mit rund 2,4 Cent je Kilowattstunde liegt die Gasumlage niedriger als befürchtet. Das Wirtschaftsministerium war zuvor von einer möglichen Spanne von 1,5 bis fünf Cent ausgegangen. Für eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden fallen dadurch laut Berechnungen von Trading Hub Europe Mehrkosten von rund 484 Euro im Jahr an. Die Gasumlage ist bis zum 1. April 2024 befristet, sie kann alle drei Monate angepasst werden. Habeck betonte, dass die von Oktober an anfallenden 2,4 Cent bereits ohne Umsatzsteuer berechnet seien. Sollte die EU-Kommission eine solche Ausnahmeregelung, um die Finanzminister Christian Lindner (FDP) gebeten hatte, nicht ermöglichen, dann werde die Bundesregierung "entsprechende Ausgleichsmechanismen schaffen".

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte angesichts der weiter steigenden Energiepreise ein neues Entlastungspaket an. Am Rande eines Besuchs ins Oslo sagte er, die Regierung werde ein "Entlastungspaket schnüren, das nicht nur die Kosten der Umlage adressiert, sondern darüber hinaus geht". Ins Detail ging Scholz nicht. Die Koalition diskutiere derzeit über Vorschläge, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann.

Der Paritätische Gesamtverband forderte "ein großes Paket für die Armen", auch Wirtschaftsverbände verlangten weitere Entlastungen wie etwa die Senkung der Mehrwertsteuer auf den Gas- und Strompreis. Der Leipziger Linken-Politiker Sören Pellmann rief die Bürger in den ostdeutschen Ländern zu Montagsdemos gegen die geplante Gasumlage auf. Sie sei ein "Schlag gegen den Osten" und "der schärfste soziale Einschnitt für die Bürger seit den Hartz-Reformen der 2000er-Jahre".

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