Gastronomie:Essen auf Rädern

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Weil Restaurantbesuche tabu sind, fahren im ganzen Land Gäste im Wohnmobil vor.

Von Lea Hampel

Einer der Vorteile des Kapitalismus ist, dass ein Angebot nicht lange auf sich warten lässt, wo sich Nachfrage regt. Dass dabei mit der Verzweiflung die Kreativität steigt, stellt die deutsche Gastronomie unter Beweis. Im Sommer standen Plexiglaskonstruktionen in bizarrsten Formen in Lokalen, es gab schnitzeljagdtaugliche Pfeile am Boden und Fenster für Cevapcici.

Nun haben die Wirte das "Essen auf Rädern" umdefiniert und bieten landauf, landab "Dinner im Wohnmobil": Die Gäste stellen ihre fahrbaren Unterkünfte in der Nähe ab und kriegen das Essen durch die Tür serviert. Das Hundeheim Kirkel-Limbach ist dabei und die Bad Münder Ziegenbuche. Auch Opa Joe's Roadhouse Pellemeier in Lienen, die Kartoffel-Kiste in Solingen-Höhrath und die Schlei-Liesel in Güby sind einige von vielen.

Und während bereits die Kneipen- wie Ortsnamen unterstreichen, wie sehr diese Nation Land und nicht Berlinmünchenhamburg ist, steigern die Bilder in der dazugehörigen Facebookgruppe diesen Eindruck: halbscharfe Fotos rollender Riesenkarren, im Außen mit Parkplatzbeleuchtung und dünner Schneedecke. Vom Innen gibt es nicht eben schärfere Selfies froher Bürger vor Lichterketten, Weißbier, und: sehr oft Schnitzel, Spätzle und Kaiserschmarrn.

Ein Anruf bei der Windmühle Fissenknick, die seit vier Wochen ein "Wo-Mo-Dinner", wie es Insider nennen, anbietet. Die Begeisterung auf beiden Seiten sei riesig, sagt Chef Holger Lemke. "Wir haben in den vergangenen Wochen Hochzeitstage und Geburtstage gerettet und Urlaube ersetzt." Für Weihnachten und Silvester sei man "fast voll". Das heißt: Es haben so viele Gäste reserviert, dass nicht mehr viel vom Parkplatz übrig sein dürfte - zumal die Wohnmobile größer geworden sind in den vergangenen Jahren. Bei manchem, sagt Lemke, sei das fast "vier Zimmer, Küche, Bad". Der Gast hat also mehr Platz als sonst bei den strengsten Hygieneabständen im Lokal.

Es wäre nicht Deutschland, gäbe es nicht Regeln für die neue Speisegelegenheit: Die Bedingungen müssen Wirte mit dem lokalen Ordnungsamt klären. 50 Meter rund ums Restaurant darf theoretisch nichts verzehrt werden - es sei denn, der Speiseort hat vier eigene Wände. Der Kellner darf das Auto nicht betreten und, theoretisch, weder Stoffserviette noch Tischdecke reichen. Ein Umstand, der in der Facebookgruppe mit dem Kommentar "meine Frau macht das am liebsten selbst" als undramatisch eingeordnet wird. Dass das Essen der Hygiene wegen in Boxen kommen muss, ergibt angesichts des längeren Weges von Küche zu Tisch ohnehin Sinn, sagt Lemke.

Für alle, die sich dennoch eine Gans am Plastiktisch wünschen, stellen sich praktische wie moralische Fragen. Wo ein Wohnmobil herbekommen? Hersteller wie Verleiher konnten dieses Jahr die Nachfrage kaum bedienen. Will man Wirte unterstützen, gilt es zudem, viel zu trinken. Stimmt man sich dabei aber nicht rechtzeitig mit den Mitreisenden, -speisenden und vor allem -fahrenden ab, gibt es ein weiteres Problem: Auf dem Parkplatz darf nicht übernachtet werden. Das würde gegen Beherbergungsverbote verstoßen.

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