Gastkommentar:Angebot zur Teilhabe

Seit dem Referendum des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan und dem Abstimmungsverhalten der Deutschtürken gibt es eine neue heftige Debatte um den Doppelpass für Ausländer. Man sollte ihn auf keinen Fall schon wieder infrage stellen.

Von  Cornelie Sonntag-Wolgast

Gleich nach der Festnahme des Journalisten Deniz Yücel in der Türkei begann die Debatte. Besäße der Journalist nicht den Doppelpass, wäre er den Fängen der türkischen Justiz entgangen, hieß es. Und seit sich die Deutschtürken mehrheitlich für Erdoğans Präsidialreform entschieden haben, ist die Diskussion über die Hinnahme der Mehrstaatlichkeit voll im Gange. In Deutschland wächst die Neigung, die Lösung komplexer Probleme der Migrationspolitik auf Schlagworte zu verengen: "Obergrenzen" bei der Flüchtlingsfrage, "Doppelpass", wenn es um die Loyalität von Migranten geht.

Natürlich ist zu fragen, warum die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts gerade bei türkischstämmigen Migranten keinen echten Integrationsschub bewirkt hat. Nach einer langen Zeit, in der der Staat die Einwanderung eher verwaltet als gestaltet hatte, schien ein Zeichen des Entgegenkommens an die hier lebenden Ausländer überfällig zu sein. Das Gesetz aus dem Jahr 2000 war allerdings ein mühsam ausgehandelter Kompromiss. Viele Deutschtürken betrachteten es sogar als Verschlechterung, weil nun der "Doppelpass durch die Hintertür" wegfiel, also die Möglichkeit, nach der Einbürgerung die türkische Staatsangehörigkeit nochmals zu erwerben. Immerhin: Ausländer konnten sich von nun an deutlich früher einbürgern lassen. Und hier geborene Migranten wurden zunächst einmal Deutsche, mussten sich allerdings zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr für die deutsche Staatsangehörigkeit oder diejenige des Herkunftslandes ihrer Eltern entscheiden. Dieses "Optionsmodell" ist in der laufenden Legislaturperiode weitgehend aufgehoben worden. Darüber wird zurzeit gestritten.

Das heutige Recht ist eine Aufforderung zur Teilhabe, keine Wunderwaffe gegen Diskriminierung. Nach einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes senkt allein ein ausländisch klingender Name die Chance, eine Wohnung, einen Ausbildungs- oder einen Arbeitsplatz zu bekommen. In Regionen mit hohem Anteil an Familien, die einst als Gastarbeiter aus Anatolien und aus bildungsfernen Milieus kamen, verfangen die Parolen Erdoğans. Wer sich vorwiegend aus türkischen Medien informiert, fühlt sich darin zusätzlich bestärkt. Will sagen: Die erleichterte Einbürgerung ist kein Garantieschein für die Hinwendung zu den Prinzipien des freiheitlichen Rechtsstaats. Hinzu kommen Frust, Abschottungstendenzen und eine gewisse Wehleidigkeit: Man fühlt sich abgehängt.

Das Wahlrecht sollte auf den tatsächlichen Wohnsitz beschränkt werden

Das stimmt aber nur zum Teil. Zwar bedeutet "Integration" nach konservativer deutscher Lesart allmähliche Anpassung, die erst am Ende mit den vollen Rechten eines deutschen Staatsbürgers belohnt werden sollte. Die andere Lesart begreift jedoch Integration als wechselseitige Annäherung mit Beiträgen der Mehrheitsgesellschaft und Angeboten zur demokratischen Teilhabe. Und es gibt ja positive Signale an die Migranten, sich auf dieses Land einzulassen: Sprachförderung schon in der Kita, mehr Migranten im öffentlichen Dienst und in den Medien, Bürgerinitiativen für interkulturelles Miteinander, mehr türkischstämmige Parlamentarier.

Verstehen kann ich das Missbehagen daran, dass Abstimmungen über Streitfragen eines anderen Staates hier mit schriller Begleitmusik stattfinden. Sinnvoll wäre eine gesetzliche Klausel, die das Wahlrecht auf den ständigen Wohnsitz, also den Lebensmittelpunkt der Berechtigten beschränkt. Die Einbürgerung erschweren, den Doppelpass abschaffen? Die "Uneinsichtigen" abstrafen? Das ist keine Lösung. Migranten aus EU-Staaten wird Mehrstaatlichkeit gewährt. Türkischstämmige und andere Migranten würden zu Einwanderern zweiter Klasse. Unter den Deutschtürken würde das Gefühl, nicht gewollt zu sein, nur steigen - mit allen Konsequenzen. Sie könnten sich in ihrer Opfer-Rolle einnisten. Und wären umso weniger bereit zu der selbstkritischen Frage, was sie selbst denn zur besseren Einbettung in die deutsche Gesellschaft tun könnten. Das kann kein vernünftiger Mensch wollen.

Cornelie Sonntag-Wolgast, 74, war Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister des Innern und Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses.

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