Süddeutsche Zeitung

Gastkommentar:Sankt Nimmerlein

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Die Parole "Abschaffung der christlichen Feiertage" ist verkürzt. Keiner kann den Christen ihre Feste nehmen. Wer es doch versucht, enteignet allerdings die Arbeitnehmer. Ihnen fehlt ein freier Tag, der vor pausenlosem Schaffen schützt.

Von Silke Niemeyer

Himmelfahrt. Christus fährt zu Gottvater in den Himmel auf, und die irdischen Väter fahren mit Bollerwagen ins Grüne. Statt seelische Erhebung zu pflegen, geht man gepflegt einen heben. Auch so ein Feiertag, der Anlass gibt zu fragen, ob die christlichen Feiertage ihre Existenzberechtigung verlieren. Die Parole "Abschaffung der christlichen Feiertage" ist allerdings verkürzt. Keiner kann den Christen ihre Feste nehmen. Man nimmt vielmehr den Arbeitnehmern ihren freien Tag, so geschehen beim Buß- und Bettag. Der Kirche hat es nicht geschadet. Im Gegenteil, es hat viel Kreativität freigesetzt, ihn kraftvoll zu gestalten, manche Kirchen sind voller als zuvor.

Für die Arbeitnehmer aber war die Abschaffung des Buß- und Bettags eine gewaltige Enteignung. Feiertage sind Freiraum, sie schützen den Menschen vor pausenlosem Schaffen. Es ist dies die Ur-Idee des Ur-Feiertags, des jüdischen Sabbats und des christlichen Sonntags. Der Mensch soll Ruhe haben vor der Arbeit, das Vieh Ruhe vorm Treiber, der Acker Ruhe vorm Pflug - ein Tag der Auferstehung und des Aufatmens: eine grandiose soziale Erfindung.

Die Gewerkschaften haben das jüdisch-christliche Erbe erweitert und das freie Wochenende erkämpft. Man muss den Religionen nicht dankbar sein für dieses Geschenk der Humanität, und es verschafft ihnen keine Besitzansprüche auf gesetzliche Feiertage. Man möchte den liberalen Eiferern für die Abschaffung von Feiertagen aber raten: Seid nicht nützliche Idioten für jene, die Arbeitszeiten ins Pausenlose verlängern möchten. Abschaffen geht fixer als neu erfinden. Sankt Nimmerlein ist sonst der einzige Feiertag, der bleibt, wenn ihr Himmelfahrt, Ostermontag, Fronleichnam bei der Arbeit seid.

Silke Niemeyer, 54, ist evangelische Pfarrerin.

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SZ vom 09.05.2018
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