Gastkommentar:Risiko Olympia

Die Gefahren durch das Zika-Virus in Brasilien werden immer noch grob unterschätzt. Der Erreger kann nach neuesten Erkenntnissen auch durch Geschlechtsverkehr übertragen werden. Höchste Zeit zu handeln.

Von Alexander S. Kekulé

Heute gilt es als erwiesen, dass das 2015 in Lateinamerika aufgetretene Zika-Virus schwere Missbildungen hervorruft. Eine internationale Gruppe von 150 Gesundheitsfachleuten fordert deshalb, die Olympischen Spiele in Rio abzusagen. Dagegen erklärt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Olympiade habe auf die Ausbreitung keinen Einfluss, da das Zika-Virus ohnehin bereits in 60 Ländern der Erde vorhanden sei. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der ägyptischen Tigermücke Aedes aegypti, durch die Zika übertragen wird, reichten aus. Zudem sei das Infektionsrisiko im August gering, weil die Mücken im brasilianischen Winter weniger aktiv sind.

Angesichts der unvollständigen Datenlage und der chaotischen Verhältnisse in Brasiliens Gesundheitswesen ist nicht nachzuvollziehen, warum die WHO, die wegen der Zika-Epidemie gerade den globalen Gesundheitsnotfall ausrief, nun in Sachen Olympia so gelassen ist. Das Zika-Virus schädigt Kinder im Mutterleib. Sie kommen mit zu kleinem Kopf ("Mikrozephalie") und schweren neurologischen Störungen zur Welt. In Brasilien gibt es derzeit, sofern die Daten stimmen, eine regelrechte Epidemie von Mikrozephalien und Totgeburten. Die Infektion selbst verläuft meist unbemerkt. Nur in etwa 20 Prozent der Fälle treten Allerweltssymptome wie leichtes Fieber, Bindehautentzündung und Ausschlag auf. Wie häufig Mikrozephalien nach Zika-Infektionen in der Schwangerschaft tatsächlich sind und ob es auch Schäden gibt, die sich erst im Lauf des Lebens zeigen, ist ungeklärt.

Das Argument der WHO, die globale Ausbreitung des Virus sei ohnehin nicht mehr zu stoppen, hat einen zynischen Beigeschmack. Wenn zu den Olympischen Spielen Menschen aus 206 Nationen kommen, wird Zika auch in wenig entwickelten Ländern der Tropen und Subtropen importiert, in denen die Überträgermücke vorkommt. Auch in Brasilien hätten Schwangere früher gewarnt werden können, wäre die WHO nicht so lange untätig geblieben. Ein Jahrzehnt lang zog das Virus gemächlich von Asien nach Südamerika. Nach dem ersten größeren Ausbruch 2007 auf den Yap-Inseln im Westpazifik wanderte es über kleinere Atolle nach Französisch-Polynesien. Von dort ging es 2014 weiter auf die Osterinseln und dann, wenig überraschend, nach Südamerika.

Erst jetzt wurde bekannt, dass das Virus auch auf sexuellem Weg übertragen werden kann

Trotzdem wurde Brasilien vollkommen unvorbereitet getroffen. Im Dezember 2014 bemerkten Ärzte im Nordosten eine neuartige Erkrankung mit ungewöhnlichen Ausschlägen. Weil niemand von dem Erreger wusste, wurde monatelang nicht auf Zika getestet. Als die Behörden schließlich am 29. April 2015 den Auslöser identifizierten, hatten sich bereits mehr als 150 000 Menschen infiziert. Im Juli 2015 erreichte die Epidemie ihren Höhepunkt, von August an wurden zunehmend Kinder mit Mikrozephalie geboren. Es dauerte drei weitere Monate, bis den Behörden der Zusammenhang auffiel. Erst seit Dezember 2015 wird Schwangeren empfohlen, sich vor Mückenstichen zu schützen. Hätte die WHO gewarnt, wäre die Gefahr wohl deutlich früher entdeckt worden.

Auch dass die Olympiade im brasilianischen Winter stattfindet, kann nicht beruhigen. Zwar stechen Mücken bei Kälte seltener. Doch an der Atlantikküste Brasiliens sind die Unterschiede zwischen den Jahreszeiten gering. Die Tageshöchsttemperatur geht in Rio nur von 30 auf 26 Grad zurück. Die Zika-Epidemie im Nordosten des Landes hatte von Juni bis August ihren Höhepunkt - also genau in der Zeit, die die WHO als relativ sicher einstuft.

Wie sich die Epidemie bis August weiterentwickelt, kann niemand vorhersagen. Im Nordosten gehen die Infektionen derzeit stark zurück, weil viele Menschen immun geworden sind. In Rio begann der Ausbruch später und verlief bisher weniger dramatisch, sodass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung geschützt ist. Wenn zu den Olympischen Spielen bis zu eine Million Menschen ohne Immunität anreisen, könnte die Epidemie wieder aufflammen. Dass die Behörden, die seit 15 Jahren erfolglos gegen die Tigermücke kämpfen, die Brutstätten bis zur Olympiade ausmerzen werden, darf bezweifelt werden.

Auch für Industrieländer bestehen Risiken. Seit Kurzem steht fest, dass Zika auch sexuell übertragen wird. Da das Virus in hoher Konzentration in Sperma vorhanden ist, sind Frauen besonders gefährdet. Auch im Speichel ist der Erreger nachweisbar. Die WHO hat deshalb dazu aufgerufen, Athleten und Besucher über Schutzmaßnahmen zu informieren. Doch wie sollen die aussehen? Einen zuverlässigen Schutz gegen die ägyptische Tigermücke gibt es nicht. Zur Vermeidung der Übertragung wird empfohlen, nach der Rückkehr aus Brasilien "mindestens" acht Wochen geschützten Sex zu praktizieren. Allerdings ist nicht bekannt, wie lange Zika ansteckend ist. Das Risiko, für lange Zeit infektiös zu bleiben und Kinder guten Gewissens nur in vitro zeugen zu können, würden wohl nur wenige männliche Sportler und Besucher in Kauf nehmen. In ihrer Stellungnahme zu Olympia ist die WHO darauf mit keinem Wort eingegangen.

Bevor das olympische Feuer in Rio ent-zündet wird, muss geklärt werden, wie lange Zika ansteckend bleibt und wie hoch das Risiko sexueller Übertragungen ist. Noch nicht von dem Virus heimgesuchte Länder, in denen die Überträgermücke vorhanden ist, brauchen massive Unterstützung, um das Risiko für Schwangere zu minimieren. Wenn die WHO und die Industriestaaten sich nur auf die brasilianischen Behörden und den südamerikanischen Winter verlassen, werden die Olympischen Spiele ein epidemiologisches Experiment mit ungewissem Ausgang.

Alexander S. Kekulé, 57 , ist Professor für Medizinische Mikrobiologie und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle (Saale).

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