Gastkommentar:Ran an die Buletten

Berlins Bürgermeister Michael Müller verspricht einen extra Feiertag. Das passende Datum wird noch gesucht - drei stehen zur Auswahl. Das zeigt: Es geht nicht ums Gedenken. Die nationale Geschichte wird bloß zum Vorwand für Volks­belustigung genommen.

Von Christian Bommarius

Es macht einen Unterschied, ob in Berlin demnächst mehr gefeiert wird oder mehr gedacht - auch wenn der Regierende Bürgermeister davon offensichtlich nichts wissen will. Michael Müller (SPD) hat den Berlinern einen neuen Feiertag versprochen, der aus keinem besonderen Anlass, sondern allein aus dem Grund begangen werden soll, dass er ihnen zu einem zusätzlichen arbeitsfreien Tag verhilft. Wenn ausschließlich der Grund entscheidet, ist der Anlass der Feier egal, weshalb Müller den Bürgern der Hauptstadt drei Gedenktage für ein vermeintliches Upgrading zum Feiertag zur Wahl stellt: den 8. Mai als Tag der Befreiung von der Nazi-Diktatur oder den 17. Juni als Tag des Volksaufstandes in der DDR 1953 oder den 27. Januar als Holocaust-Gedenktag. Entscheidendes Kriterium der Auswahl, sagt Müller, sei gewesen, dass "der Tag eine politische Relevanz in unserer Geschichte hat". Warum? Wenn es nicht darauf ankommt, warum ein Tag gefeiert wird, sondern nur wichtig ist, dass gefeiert wird, dann ist ohne Bedeutung, ob der Berliner seine Feiertags-Bulette anlässlich der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau auf dem Festplatz verzehrt oder das Bier anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs mit bis zu 80 Millionen Toten hinunterstürzt.

Die Bedeutung dieser Gedenktage besteht für Müller offensichtlich allein darin, dass sie sich zu gesetzlichen Feiertagen umwidmen lassen und sich so der einschlägige Rückstand Berlins im Vergleich mit anderen Bundesländern verkürzt. Das bekommt dem Bier- und Bulettenabsatz und gefällt den Arbeitnehmern, aber es setzt dem Gedenken an die historischen Ereignisse in Wahrheit ein Ende - sofern es überhaupt noch eine Rolle spielt. Vor einigen Jahren scheiterte Klaus Wowereit, der damalige Regierende Bürgermeister, in einer Quiz-Sendung fast an der Frage nach dem Beginn und dem Ende des Zweiten Weltkriegs - nur das hörbare Soufflieren aus dem Off hat ihn vor einer gewaltigen Blamage bewahrt. Von der Befreiung der Überlebenden aus den Vernichtungslagern wissen schon heute viel zu wenige, aber wann und wie die Gefangenschaft, die Verschleppung und Ermordung der Juden, der Sinti und Roma, der Homosexuellen, der politischen Gefangenen und vieler Christen begonnen hat, ist kaum noch bekannt. Und was ist mit dem 17. Juni 1953, als der Arbeiteraufstand der DDR von der sowjetischen Armee blutig niedergeschlagen wurde? Er ist in Vergessenheit geraten, als gesetzlicher Feiertag abgelöst vom Tag der deutschen Einheit. Würde einer dieser Tage dem Vergessen entrissen, wenn in Berlin ihm zu Ehren künftig Bierfässer angestochen werden und in den Clubs die Stimmung steigt?

Die nationale Geschichte wird zum Vorwand für Volksbelustigung genommen

Nichts gegen einen neuen gesetzlichen Feiertag in der deutschen Hauptstadt. Er ist den Berlinern zu gönnen. Sie sind um das Los, Berliner zu sein, nicht zu beneiden. Der Ruin der Volksbühne wird dem Senat gewiss eher gelingen als die Fertigstellung des BER - aber ist das ein Trost? Ein zusätzlicher freier Tag könnte den geplagten Bewohnern ein wenig Erleichterung verschaffen. Das legitimiert den Regierenden Bürgermeister jedoch nicht, die Gedenktage, die die Malaise der nationalen Geschichte den Deutschen verordnet hat, zum Vorwand für gesetzlich geschützte Volksbelustigung zu nehmen. Er spricht von Gedenken, aber gemeint ist die große Sause: Ran an die Buletten!

Christian Bommarius,59, ist Publizist und Träger des Heinrich-Mann-Preises 2018.

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