Süddeutsche Zeitung

Gastkommentar:Präsidentin Hillary

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Der harte Wahlkampf hinterlässt schon jetzt seine Spuren. Selbst wenn Hillary Clinton als Siegerin ins Weiße Haus einziehen sollte - die USA werden so tief gespalten sein wie seit 100 Jahren nicht mehr. Die größte Kluft verläuft dabei nicht zwischen Weißen und Schwarzen.

Von David A. Andelman

Amerika ist im Begriff auseinanderzubrechen. Zwar dürfte, wie es zurzeit aussieht, Hillary Clinton zur nächsten Präsidentin der Vereinigten Staaten gewählt werden. Das Land, ebenso wie der Rest der Welt, dürften dann glauben, dass ihre Gebete erhört worden sind. Aber mit erhörten Gebeten ist das so eine Sache: Sei vorsichtig, was du dir wünschst, du könntest es bekommen, sagt ein amerikanisches Sprichwort.

Clintons Weg zur Präsidentschaft und die polarisierende Kandidatur ihres Rivalen Donald J. Trump werden ein Amerika zurücklassen, das tiefer und bitterer gespalten - und geschwächt - ist, als dies in der gesamten Geschichte des Landes seit dem Ende des Bürgerkriegs 1864 der Fall war. Es gibt eine Lektion aus diesem erbitterten und kontroversen Wahlkampf, der Amerika entlang wirtschaftlichen, religiösen, geografischen und ethnischen Grenzen teilt: Amerikaner wollen regiert werden, am liebsten von jemandem, der weise und kompetent ist und führen kann. Aber sie wollen nicht beherrscht werden.

Nun stellt sich die Frage: Ist Hillary Clinton mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen als First Lady des Bundesstaats Arkansas, als First Lady der Vereinigten Staaten und als Außenministerin wirklich darauf vorbereitet, diese schwere Aufgabe zu meistern?

Durch den harten Wahlkampf nimmt Clinton in einigen Fragen erstaunliche Positionen ein

Gut möglich, dass ihr das in den gesamten vier Jahren ihrer ersten Amtszeit nicht gelingt. Wie eine Nation regieren, die so tief gespalten ist zwischen liberal und konservativ, zwischen Stadt und Land, und gleichzeitig eine Welt beruhigen, die ängstlich auf ein Land blickt, das gerade mit der Idee, einen Präsidenten Donald Trump zu wählen, flirtet - einen Kandidaten, der alles gering schätzt, wofür die amerikanische Demokratie und die Allianzen und Handelsverträge des Westens stehen?

Dies führt zu einem an Merkwürdigkeiten reichen Wahlkampf. So warfen sich beide Kandidaten fast gleichzeitig Rassismus vor, wobei Clinton sicher deutlicher und glaubwürdiger war als ihr Gegner. Die extremen Aussagen Trumps lassen zudem auch Clinton bemerkenswerte Positionen einnehmen. So hat sie in einer Verbeugung vor den mächtigen Gewerkschaften Amerikas versprochen, die Transpazifische Partnerschaft (TPP) abzulehnen und damit unausgesprochen auch das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) mit Europa.

Natürlich ging sie dabei nicht so weit wie Trump, der sämtliche Handelsverträge Amerikas verwerfen will, darunter auch das 22 Jahre alte Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta); sie will auch, anders als Trump, nicht entlang der gesamten Grenze zu Mexiko eine Mauer errichten. Sie kündigte nicht an, Amerikas Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) zu überdenken oder die künftige Rolle der USA in der Nato davon abhängig zu machen, dass irgend ein Mitgliedsstaat, der um Unterstützung ersuchen könnte, erst einmal pünktlich seine Beträge zahlt. Unwahrscheinlich auch, dass sie Wladimir Putin und Russland an ihr Herz drücken würde, wie Trump es tut.

Gleichzeitig wird Clinton die Hilfe des Westens suchen, um den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat zu verstärken - sie wird eine Präsidentin sein, die im Vergleich zu Obama eher als Falke auftritt, aber dafür verlässlicher ist als Trump. Sie wird am Nuklearabkommen mit Iran festhalten, statt die Welt in einen globalen Wettlauf Richtung Armageddon zu schicken, was vermutlich die Folge wäre, sollte ihr Herausforderer seine Ankündigung wahrmachen und von dem Vertrag zurücktreten.

Offen ist bislang, ob beide Kandidaten wirklich die Feinheiten des Nahen Ostens verstehen. Diese bitteren, tief verwurzelten Leidenschaften, die in Mesopotamien und der gesamten arabischen Halbinsel bleiben werden, auch nach der Vernichtung des IS. Hier gilt weiterhin: Kurden gegen Schiiten, schiitisches Iran gegen sunnitisches Saudi-Arabien.

Der Herausforderer streut infame Gerüchte, die ihr selbst bei einem Sieg noch schaden können

Eine der größten Stärken Clintons, die sie auch in ihrem Wahlkampf immer wieder hervorhob, ist ihre Erfahrung - insbesondere ihre vier Jahre als Außenministerin. Daher hilft es, diesen Punkt genauer anzusehen. Während ihrer Amtszeit legte sie auf ihren Reisen rund um den Globus mehr als eineinhalb Millionen Kilometer zurück und bereiste 112 Nationen, womit sie sämtliche ihrer 66 Vorgänger bis hin zu Thomas Jefferson übertrifft. Was sie dabei erreicht hat, verblasst jedoch im Vergleich zur Bilanz ihres Nachfolgers John Kerry.

Ein Grund hierfür ist die Auslagerung von Aufgaben. Barack Obama hat die Welt bei seinem Amtsantritt 2009 quasi an das Außenministerium outgesourcet, während er selbst sich um die Finanzkrise und die zusammenbrechende amerikanische Wirtschaft kümmerte. Clinton ihrerseits outsourcte daraufhin ihre am schwersten lösbaren Probleme an eine Reihe von Statthaltern. Der unermüdliche Spitzendiplomat Richard Holbrooke wurde mit dem Fall Afghanistan betraut - in der Hoffnung, er könnte auch hier ähnliche Wunder vollbringen wie beim Krieg in Bosnien. Iran fiel an Dennis Ross, während der heikle Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern Aufgabe des früheren Mehrheitsführers im US-Senat, George J. Mitchell, wurde; in der Hoffnung, er könne mit seinem Charme auch dort den Frieden herbeiführen, so wie ihm das schon in Nordirland gelungen ist. Keiner dieser Statthalter hat wirklich etwas bewirkt, zum Teil deshalb, weil weder die Ministerin noch der Präsident selbst sich die Probleme zu eigen machten. Probleme einfach auszulagern funktioniert selten.

Die Probleme im Inland könnten sich für Hillary Clinton noch als viel schwieriger erweisen. Die Welt muss sich auf eine Nation einstellen, die von einer Präsidentin regiert wird, die sich - wie schon ihr Vorgänger - leicht ablenken lässt. Bei ihr könnte dies auch Grundsatzfragen betreffen, die die Gesellschaft spalten. Kürzlich behauptete Donald Trump, dass Hillary Clinton nur durch Betrug den zwischen Republikanern und Demokraten hart umkämpften Bundesstaat Pennsylvania für sich entscheiden könne. Eine Botschaft, die er mit zunehmender Schärfe wiederholte. Hinzu kam die mittlerweile berühmte Aussage, dass die Amerikaner auch fürchteten, dass "Hillary ihnen das Recht nehmen wird, Waffen zu tragen nach dem Zweiten Zusatzartikel" (zur Verfassung der Vereinigten Staaten) und dass man sich dagegen verteidigen müsse. Und dann gibt es da noch seine Porträtierung Clintons als Terroristin und "Mitbegründerin des IS".

Mit seinen Gerüchten zeichnet Trump das Bild einer Präsidentin Clinton, die es mit einer gefährlich gespaltenen Nation zu tun hat und ihr Amt angeblich nur durch eine rigged election, eine manipulierte Wahl, gewinnen konnte. Das wäre die Antithese zum Grundsatz der Demokratie, den sich jeder amerikanische Präsident nach bestem Vermögen zu eigen machen muss.

Amerikas politische Landschaft besteht in diesem Jahr aus einem irrwitzigen Flickenteppich polarisierender Leidenschaften; die großen Städte und die Vorstädte stehen dabei gegen das Amerika der Farmen und des flachen Landes. Es geht nicht mehr einfach nur um Weiß gegen Schwarz oder Braun, es geht um die haves und die have-nots, die Wohlhabenden und die, die sich zurückgesetzt fühlen. Das ist die gefährlichste Kluft, sie wird am schwierigsten zu überwinden sein.

Vor allem aber muss sich die Welt für den Fall rüsten, dass eine Präsidentin Clinton stolpern oder straucheln sollte.

David A. Andelman , 71, war Herausgeber der Zeitschrift World Policy Journal und schreibt für die Zeitung USA Today . Sein Buch "A Shattered Peace" analysiert die Folgen des Versailler Vertrags.

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SZ vom 03.09.2016
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