Gastkommentar:Opfer, nicht Retter

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Tropische Regenwälder leiden massiv unter der Erderwärmung. Sie können die Welt daher nicht vor deren Folgen bewahren.

Von Claude Martin

Als Bundeskanzler Helmut Kohl beim UN-Gipfel über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro Unterstützung für das Pilotprogramm zum Schutz der tropischen Regenwälder Brasiliens (PPG7) ankündigte, glaubten viele, er habe sich um eine Null geirrt. Die Zusage der Bundesrepublik machte beinahe die Hälfte des Budgets von 350 Millionen Dollar aus. Deutschland wurde damit zum wichtigsten Geldgeber des Schutzprogramms. Dies trug zum Rückgang der Entwaldung sowie zur Erhaltung der Biodiversität und der nachhaltigen Nutzung bei. Es half, Landrechte der indigenen Bevölkerung zu sichern.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass fast ein Vierteljahrhundert nach der Rio-Konferenz das neue brasilianische Parlament beabsichtigt, ein Bergbaurahmengesetz zu verabschieden, das Landwirtschaft, Bergbau und Wasserkraftnutzung teilweise auch in Schutzgebieten und indigenen Territorien zulassen würde. Weil die Olympischen Spiele 2016 in Rio die Aufmerksamkeit der internationalen Medien wecken werden, ist nicht auszuschließen, dass die Lobby alles daransetzen wird, die Gesetzesvorlage noch in diesem Jahr durchzupeitschen.

Die Regenwälder Amazoniens werden aber noch von anderer Seite unter Druck geraten: Die globale Erwärmung hinterlässt auch in den feuchtesten Waldökosystemen der Erde, den tropischen Regenwäldern, ihre Spuren. Bis vor einigen Jahren konnte man noch davon ausgehen, dass diese Wälder ihre Funktion als Kohlenstoffsenken wahrzunehmen vermöchten, wenn nur der Entwaldung Einhalt geboten würde. Kürzlich wurden wieder Hoffnungen geschürt, dass bis zu einem Drittel der Treibhausgas-Emissionen durch die verhinderte Entwaldung und Walddegradierung ausgeglichen werden könnte. Doch so einfach werden wir unsere Klimaschulden nicht los.

In trockenen Jahren wird Amazonien selbst zum Kohlendioxid-Emittenten

Die tropische Entwaldung ist viel zu komplex, als dass man sie mit einer einfachen Kompensation für verhinderte Entwaldung unterbinden könnte. Die Grundursachen der direkten und indirekten Entwaldung in den Tropen könnten nicht unterschiedlicher sein: Es liegen Welten zwischen der Umwandlung von Regenwald zu Viehweiden oder Ölpalm-Plantagen, der Subsistenz-Landwirtschaft armer Kleinbauern, dem Brennholz- und Holzkohlebedarf etwa von Kinshasa und Kisangani, und dem nicht nachhaltigen und oft illegalen Holzeinschlag, der zur Degradierung riesiger Waldflächen führt. Mit einem groben monetären Werkzeug kommt man der Vielfalt dieser Probleme niemals bei. Deshalb hat sich der etwas naive Enthusiasmus über das UN-Programm zur Reduzierung der Emissionen (REDD) in den vergangenen Jahren trotz Fortschritten abgekühlt, umso mehr, als die Finanzierung nicht geregelt ist.

Aber es gibt eine möglicherweise noch weit bedeutendere Schwierigkeit: Inzwischen weiß man, dass tropische Regenwälder nicht beliebig flexibel auf den Klimawandel reagieren können, um ihre Rolle als Kohlenstoffsenken zu erfüllen. Die Erderwärmung verlängert in vielen Regionen der feuchten Tropen die Trockenzeit, besonders in Jahren von El Niño, der periodischen Erwärmung des östlichen äquatorialen Pazifiks. So geschehen 2005 und 2010, als große Teile des Amazonasbeckens unter Dürre litten und die geschätzte Speicherkapazität Amazoniens von 0,4 bis 0,6 Gigatonnen Kohlenstoff pro Jahr sich ins Gegenteil verkehrte. Wenn tropische Regenwälder unter Trockenstress leiden und die Photosynthese sinkt, während die Pflanzenatmung und das Absterben von Bäumen zunehmen, können diese Wälder zeitweise auch zu Kohlendioxid-Emittenten werden. Die Gefahr unkontrollierbarer Brände kommt noch dazu.

Die tropischen Regenwälder sind also viel mehr Opfer der durch den Menschen verursachten Klimaveränderung, als dass sie uns vor unserer eigenen Unvernunft retten könnten.

Claude Martin , 69, ist Biologe und ehemaliger Generaldirektor der Umweltorganisation WWFInternational.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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