Süddeutsche Zeitung

Gastkommentar:Lauthals

Die deutschen Bischöfe müssen einen Teil ihrer Macht an die Gläubigen abgeben und Kritiker anhören. Nur so kann die Kirche sich demokratisieren.

Von Michael Seewald

Die deutsche Bischofskonferenz will auf die Krise der katholischen Kirche mit einem "verbindlichen synodalen Weg" reagieren. Wer auf ihm mitgehen darf, ist unklar. Das Ziel des Weges soll es sein, eine "strukturierte Debatte" über drei Themen zu führen: Macht, priesterliche Lebensform und Sexualmoral. Andere Fragen, welche die Kirche umtreiben, etwa die Rechte von Frauen, bleiben ausgeklammert. Das ist der Preis dafür, dass die zerstrittene Konferenz sich überhaupt auf den synodalen Weg einigen konnte. Umso wichtiger ist es, dass er bei den Themen, die ihm offenstehen, Ergebnisse erzielt.

Eine Schlüsselrolle kommt der Frage nach "Macht, Partizipation und Gewaltenteilung" zu, weil alles Weitere von ihr abhängt. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte zugleich eine Stärkung des Bischofsamtes und eine Aufwertung der Laien. Beidem liegt die Einsicht zugrunde, dass die katholische Kirche keine Papstmonarchie ist, sondern eine lebendige Gemeinschaft. Das Kollegium der Bischöfe müsste nach Wunsch des Konzils an der Leitung der katholischen Weltkirche in Gemeinschaft mit dem Papst beteiligt werden, so wie die Laien in Gemeinschaft mit dem Bischof das Leben ihrer Ortskirchen gestalten sollen.

Diese Anliegen wurden bisher nur selektiv umgesetzt. Die Bischöfe gehen immer noch am Gängelband der Römischen Kurie, welche die Autorität des Papstes für sich beansprucht. Aufgewertet wurde aber das dogmatische Profil der Bischöfe. Sie dürfen sich, mit den Worten des Konzils, nun als "Stellvertreter und Gesandte Christi" begreifen, die "an Gottes Stelle" ihre Bistümer leiten.

Alle Macht in einer Diözese geht also vom Bischof aus. Zumindest theoretisch. Faktisch ist die Leitung eines Bistums, dem nicht selten mehr als eine Million Menschen angehören, eine komplexe Sache. Viele sind daran in oft schwer durchschaubarer Weise beteiligt. Aus dieser Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis kirchlicher Leitung ergibt sich ein Problem, das zu den Skandalen der vergangenen Jahre beigetragen hat: Einerseits wird Entscheidungsmacht stark auf die Gestalt des Bischofs hin personalisiert. Andererseits wird sie, vor allem wo Versäumnisse öffentlich werden, anonymisiert, sodass der Bischof keine Verantwortung mehr für das zu übernehmen braucht, was in seinem Bistum falsch lief.

Will der synodale Weg aus Problemen lernen, stehen die Bischöfe vor einer Grundsatzentscheidung. Entweder es werden Strukturen geschaffen, in denen Macht so verteilt wird, dass sie überschaubar bleibt und Entscheidungsträger öffentlich Rechenschaft über ihr Tun ablegen müssen. Das geht nur, wenn Bischöfe dauerhaft auf einen Teil ihrer Macht verzichten, sich kontrollieren lassen und Laien stärker beteiligen. Oder aber alles bleibt wie bisher. Dann würde das Risiko steigen, dass bald der nächste Skandal ins Haus steht. Und die Bischöfe müssten mit berechtigten Rücktrittsforderungen rechnen, falls in ihren Diözesen schwere Fehler passieren, auch wenn sie persönlich keine Kenntnis davon hatten. Theologisch ist die erste Variante, die Zurücknahme bischöflicher Macht, möglich. Denn Hand in Hand mit ihr würde eine stärkere Beteiligung getaufter Frauen und Männer gehen - ein Anliegen des Konzils, das bisher nur eine Nebenrolle gespielt hat.

Ein weiterer, kirchlich relevanter Aspekt von Macht ergibt sich daraus, dass Machthaber nicht nur entscheiden, was getan wird, sondern auch, was gesagt werden darf. Das Versprechen der Bischöfe, sie täten alles, um Missbrauch in der Kirche aufzuklären, ist bisher wenig wert. Denn Aufklärung von Missbrauch ist nur in einer Kultur der Offenheit möglich, in der Missstände benannt werden können.

Die katholische Kirche ist weit von einer solchen Kultur entfernt. Sie ist geprägt von Tabus. Es gibt Themen, über die von Amts wegen nicht gesprochen werden darf. Was kriminelle sexuelle Verfehlungen von Klerikern angeht, wurde das Tabu aufgrund äußeren Drucks gelockert. In anderen Bereichen besteht es fort. Wer sich erdreistet, kritische Themen anzusprechen, hat mit innerkirchlichen Strafmaßnahmen zu rechnen.

Wenn die Öffentlichkeit meint, der Index der verbotenen Bücher gehöre der Vergangenheit an, ist sie schlecht informiert über das, was die Kurie alles betreibt. Es wird heute noch versucht, das Erscheinen von Büchern, die einem Kurialbeamten nicht gefallen, zu verbieten. Ebenso versucht die Kurie, Zensurmaßnahmen durchzusetzen, um zu bestimmen, was in Deutschland in ihrem Einflussbereich gesagt und geschrieben wird. Das Kirchenrecht ist dabei auf ihrer Seite. Die Canones 822 bis 832 des geltenden kirchlichen Gesetzbuches unterstellen alle Schriften, die "den Glauben oder die Sitten berühren", dem Urteil der kirchlichen Autorität, die ihr Erscheinen verbieten kann.

Eine Organisation, deren Recht es möglich macht, dass solche Dinge angeordnet werden (durchsetzen lassen sie sich nicht mehr), ist in einer freiheitlichen Gesellschaft ein Fremdkörper. Sie hat keinerlei Grund, sich als transparent oder gesprächsfähig darzustellen. Der synodale Weg kann nur gelingen, wenn die Bischöfe auf Tabuisierungen jeder Art verzichten und die außer Rand und Band geratene Kurie in die Schranken weisen. Möglicherweise kommt ihnen dabei die von Papst Franziskus geplante Neuordnung der Kurie, wie sie Ende Juni bekanntgegeben werden soll, entgegen.

Daran zeigt sich, dass Machtverzicht nichts für Schwächlinge ist, sondern Mut verlangt. Ein Bischof hat die Aufgabe, die Verbundenheit seines Bistums mit der Gesamtkirche sicherzustellen, aber auch auf universalkirchlicher Ebene seine Ortskirche zu vertreten. Bisher wurde dies meist nur in eine Richtung ausgeübt, indem Bischöfe vor Ort darüber aufgeklärt haben, was mit Rücksicht auf die Weltkirche alles nicht möglich sei. Nun kommt es darauf an, dass sie auf universalkirchlicher Ebene auch deutlich machen, was ortskirchlich nicht mehr akzeptabel ist. Nur, wenn die Bischöfe diese Kraft aufbringen, hat der synodale Weg eine Chance.

Michael Seewald, 31, lehrt Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster.

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SZ vom 26.04.2019
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