Gastkommentar:Es geht um den Athleten

Der Widerstand deutscher Sportfunktionäre gegen das neue Anti-Doping-Gesetz der Bundesregierung ist fehlgeleitet und unverständlich. Der Sport hat bewiesen, dass er das Problem Doping nicht alleine lösen kann.

Von Helmut Digel

Weltweit nimmt die Zahl der Doping-Delikte immer noch zu. Ein Anti-Doping-Gesetz ist die naheliegende Konsequenz. Solche Gesetze haben fast alle Staaten verabschiedet, in denen der Sport in eine offene Demokratie eingebunden ist. In Deutschland gab es eine ganze Reihe weltweit beachteter Dopingskandale: Der Tod von Birgit Dressel, der Medikamentenmissbrauch von Kathrin Krabbe und Grit Breuer, der bis heute nicht völlig aufgeklärte Skandal, der mit dem Namen Dieter Baumann verbunden ist. Ulrich, Zabel, Dietz, Henn, Bölts, Aldag, Jaksche, Sinkewitz und Schumacher stehen für den Radsport, der sich nahezu vollständig der Dopingmanipulation unterworfen hat. Vermutlich sind alle übrigen olympischen Sportarten ebenfalls vom Dopingproblem betroffen. Daher ist es eine gute Sache, dass die Bundesregierung den Entwurf für ein Anti-Doping-Gesetz in den Bundestag eingebracht hat.

Mit dem Gesetz soll die Nationale Anti-Doping Agentur (Nada) unterstützt und gestärkt werden. Im Mittelpunkt steht der dopende Athlet, der die Prinzipien der Chancengerechtigkeit durch seinen Betrug grundlegend infrage stellt. Der wirtschaftliche Schaden, der dabei entsteht, bildet eine weitere Legitimation für dieses Gesetz. Nicht nur der betrügende Athlet ist jedoch von dem Gesetz betroffen. Die Strafen für Hehler und Hintermänner werden erheblich verschärft.

Für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) mit seinen Verbänden, Trainerinnen und Trainern, mit seinen Athletinnen und Athleten läge es somit nahe, das neue Gesetz zu begrüßen. In jüngster Zeit hat der DOSB mit seiner neuen Führung ein Anti-Doping-Gesetz zwar begrüßt. Das vorgelegte Gesetz lehnt er jedoch kurz vor Verabschiedung in den wichtigsten Inhalten ab. Zwei prominente Athleten haben sich mit einem Landesbeauftragten für Datenschutz und zwei Rechtsanwälten zusammengeschlossen. In einem 15 Seiten langen Brief an die Bundesregierung haben sie ihre Bedenken gegen das Gesetz vorgetragen.

Die Grünen-Politikerin Renate Künast betrachtet das Gesetz als eine ungerechtfertigte Ausweitung des Strafrechts. Ihrer Meinung nach soll der Sport das Problem aus eigener Kraft lösen, ohne allerdings zu erklären, warum dies in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist. DOSB-Präsident Alfons Hörmann droht mit Sammelklagen und fordert Änderungen, ohne dass erkennbar wäre, was konkret damit gemeint ist. Zuvor hatte sich bereits die Athletenkommission mit einer kritischen Stellungnahme an die Bundesregierung gewandt.

Irritierend ist, dass einige Diskutanten behaupten, dass der Gesetzgeber nun im Eilverfahren ein neues Gesetz verabschieden möchte, ohne dass man sich ausreichend an der Diskussion hätte beteiligen können. Der Autor dieses Beitrages hat bereits 1993 vom Innenminister ein Anti-Doping-Gesetz verlangt, weil dem Sport mit seinen Mitteln der Sportgerichtsbarkeit im Kampf gegen Doping nur ein sehr begrenzter Erfolg möglich sein wird. Seit 1993 wurde nunmehr über mehr als zwei Jahrzehnte über Sinn und Unsinn eines neuen Anti-Doping-Gesetzes diskutiert. Jeder Betroffene konnte sich an der Diskussion beteiligen. Der DOSB sah sich jedoch bis heute nicht in der Lage, mit einem von ihm erwünschten Entwurf eines eigenen Gesetzes die Diskussion zu bereichern. Lediglich die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg haben mit eigenen Vorschlägen entscheidende Schritte veranlasst, damit nun bundesweit ein tragfähiges Anti- Doping-Gesetz verabschiedet werden kann.

An der jüngsten Diskussion gegen das Anti-Doping-Gesetz der Bundesregierung fällt auf, dass wieder einmal all jene Argumente gegen das Gesetz vorgetragen werden, die sich schon früher als nicht tragfähig erwiesen haben. Wer den Gesetzestext genau liest, der erkennt, dass ein sauberer Athlet dadurch bei sportlichen Wettkämpfe massiv unterstützt wird. Bedroht ist nicht der saubere, sondern der betrügende Athlet. Die Behauptung, dass die Athleten Angst vor der Besitzstrafbarkeit haben, kann allenfalls für Betrüger gelten. Dem sauberen Athleten wird durch dieses Gesetz ein weitaus besserer Schutz gewährt als dies bislang der Fall ist.

Auch von einer Gefährdung der Sportgerichtsbarkeit kann nicht die Rede sein. Wer, wie einige Abgeordnete, glaubt, die Prinzipien des Fair Play und der Chancengerechtigkeit seien keine schützenswerten Kulturgüter, die deshalb auch keinen strafrechtlichen Schutz verdienten, der sollte sein Bild von einer ethisch relevanten Zivilgesellschaft überprüfen. Wer sich angesichts der Realität im Hochleistungssport von heute nur auf das Argument der Gesundheit stützt und diese in die Privatsphäre der Athleten verabschiedet, der setzt sich absichtsvoll oder unbeabsichtigt dem Vorwurf der Heuchelei aus. Wer mit Sammelklagen droht, dem sei gesagt, dass gegen ein Gesetz jener klagen kann, der gegen das Gesetz verstoßen hat. Auf die Klage gedopter Athleten gegen das neue Anti-Doping-Gesetz darf man gespannt sein.

Nicht jede Kritik am Anti-Doping-Gesetz zeichnet sich durch Unkenntnis aus. Manche Vorschläge sind beachtenswert, zum Beispiel jener einer Kronzeugenregelung. Die Fragen zum Datenschutz stellen sich schon seit Langem. Die Privatsphäre der Athleten wurde erheblich beschränkt, ohne dass sich dadurch die Aufklärungsquote entscheidend erhöhte. Neue Gesetze haben nicht notwendigerweise präventive Erfolge aufzuweisen - wie überhaupt die Präventionsfrage im Anti-Doping-Kampf ungelöst ist. Noch vieles ist zu tun. Das neue Gesetz muss umgesetzt werden, bedarf unterstützender Strukturen, und es kommt vor allem darauf an, dass es akzeptiert wird. Das neue Anti-Doping-Gesetz aber darf dadurch nicht infrage gestellt werden.

Helmut Digel, 71, war von 1993 bis 2001 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, 2002 bis 2010 Direktor des Instituts für Sportwissenschaften der Universität Tübingen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: