Süddeutsche Zeitung

Gastkommentar:Die bessere Prämie

Der Staat sollte Pflege- und Gesundheitsarbeit finanziell unterstützen - nicht nur der vielen schlecht bezahlten Frauen in diesen Berufen wegen, sondern auch im Interesse aller Steuerzahler. Deutschland hängt hier hinterher.

Von Uta Meier-Gräwe

Wird über Wachstumsbranchen gesprochen, ist meist von Informationstechnik- und Kommunikation die Rede. In deren Schatten boomt allerdings ein anderer Sektor, dem der entsprechende Glamour fehlt: die Gesundheits- und Pflegebranche. Die Nachfrage nach Erzieherinnen, Pflegern, Putzfrauen und Haushaltshilfen steigt rapide. Allein in diesem Jahr werden 186 000 Menschen in diesem Segment einen Job finden. Das ist ein Vielfaches der Zuwächse, die in den Branchen Information und Kommunikation zu erwarten sind.

Die Aufmerksamkeit verteilt sich allerdings umgekehrt proportional. Über die "Industrie 4.0" wird intensiv geredet, die Perspektiven von Erziehern, Altenpflegerinnen oder anderen Dienstleistern personaler Versorgung werden kaum thematisiert. Dabei geht es nicht nur um die Beschäftigten allein, sondern um unsere Lebensqualität, die unserer Eltern und die unserer Kinder..

Die Beschäftigten kritisieren seit Jahren schlechte Bezahlung und Personalknappheit in der ambulanten und stationären Altenpflege. Der zusätzliche Bedarf an Arbeitskräften ist in den vergangenen Jahren fast ausschließlich durch Pflegehilfskräfte gedeckt worden, es entstanden nicht mehr qualifizierte Jobs. In den nordischen Ländern kommen auf 1000 Einwohner/innen über 65 Jahren im Durchschnitt dreimal so viele Vollzeitkräfte wie in Deutschland. Wen wundert es da , dass die gesunde Lebensspanne nach Vollendung des 65. Lebensjahres in Skandinavien steigt? Schwedinnen lebten 2012 durchschnittlich dann noch 14,6 Jahre gesund. Bei deutschen Frauen waren es lediglich 6,9 Jahre , der Trend ist negativ.

Hinzu kommen fragwürdige Arbeitsbedingungen bei haushaltsnahen Dienstleistungen. Viele Putzfrauen, 24-Stunden-Pflegerinnen und Helferinnen arbeiten schwarz, etliche haben Migrationshintergrund oder sind Dazuverdiener mit Minijobstatus. Die neuen Internetplattformen, über die man sich Betreuerinnen und Putzkräfte vermitteln lassen kann, machen deren Lage nicht besser: Nun müssen sie sich legal als Solo-Selbständige anmelden. Damit sind sie aber auch für Kranken- und Rentenversicherung selbst zuständig und tragen das Risiko der Auftragslage. Währenddessen wird ihre Arbeitsleistung knallhart von ihren Auftraggebern bewertet. Außerdem müssen sie 20 Prozent ihres Lohns als Vermittlungsgebühr an die Plattform abführen. Auf den vereinbarten Mindestlohn können die Solo-Selbständigen somit schlicht nicht kommen.

Den Schwarzmarkt stillschweigend zu tolerieren, kommt die Gesellschaft teuer

Dabei wäre die Uberisierung in diesem Feld mit politischem Willen durchaus aufzuhalten. In Belgien zum Beispiel gibt es ein Gutscheinmodell, durch das in großem Stil sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mit existenzsichernden Löhnen für haushaltsnahe Dienstleistungen entstanden. Etwas Ähnliches könnte auch bei uns implementiert werden. Eine Stunde kostet den nachfragenden Haushalt in unserem Nachbarland lediglich neun Euro, die Differenz zu einem sozialversicherungspflichtigen Stundenlohn wird staatlich gefördert und mit der Auflage verbunden, dass die Gutscheine nur bei zertifizierten Unternehmen eingelöst werden können. Und die Gesellschaft würde auch noch davon profitieren, denn der Staat nimmt mehr Steuern und Sozialabgaben ein. Das wäre ohne Zweifel auch in Deutschland möglich.

Eine solche Finanzspritze wäre viel sinnvoller als es seinerzeit die milliardenschwere die Abwrackprämie für die Autoindustrie war. Nur hat diese in Deutschland eben eine starke Lobby - im Gegensatz zu den Pflegekräften, die überwiegend Frauen sind. Unser Bruttoinlandsprodukt wird schon lange auch durch Dienstleistungsarbeit erwirtschaftet. Es ist an der Zeit, daraus Konsequenzen zu ziehen. Eine Billigdienstleistungsökonomie sollten wir uns nicht leisten. Es wird unsere Gesellschaft teuer zu stehen kommen, wenn wir stillschweigend den Schwarzmarkt tolerieren und auf Minijobs setzen. Man denke nur an die schlechte Alterssicherung dieser Beschäftigten, für die am Ende die Steuerzahler aufkommen müssen. Es wäre ein wirksamer Betrag gegen die Spaltung der Gesellschaft, gute Dienstleistungsjobs zu schaffen, von denen die Beschäftigten langfristig ihre Existenz sichern können.

Uta Meier-Gräwe, 64, lehrt Wirtschaft des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3383633
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.02.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.