Gastkommentar:Auf die Frauen kommt es an

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Die G-20-Staaten wollen unter deutscher Führung mehr für Afrika tun und so die Migration nach Europa bremsen. Wichtig wäre jetzt ein umfassendes Konzept. Hilfe muss künftig an klare Forderungen geknüpft werden.

Von Guntram Wolff

Die Gruppe der 20 großen Industrie- und Schwellenländer (G 20) will sich mehr um Afrika kümmern. Die Finanzminister der G 20 haben unter deutscher Führung eine "Compact with Africa"-Initiative gegründet, welche die Entwicklung der Wirtschaft fördern und die Beziehungen zu dem Kontinent stärken soll. Auch auf dem Gipfel Anfang Juli in Hamburg soll das eine Rolle spielen.

Die Politiker der G-20-Staaten und besonders Europas haben ein erhöhtes Interesse an Afrika, weil sie befürchten, dass stetig steigende Immigration in der Öffentlichkeit unpopulär ist. Tatsächlich hat irreguläre Migration nach Europa - hauptsächlich über das Mittelmeer - seit 2008 stark zugenommen. Aber diese irreguläre Einwanderung ist nur ein Bruchteil der gesamten Migration, die relativ stabil bei 500 000 Menschen pro Jahr liegt.

Migration aus Afrika bemisst sich derzeit auf 0,1 Prozent der EU-Bevölkerung pro Jahr. Aber diese Zahl dürfte steigen. Bis 2050 wird sich Afrikas Bevölkerung auf 2,5 Milliarden verdoppeln. Der demografische Druck ist am stärksten südlich der Sahara, wo die Geburtenrate mit fünf Kindern pro Frau besonders hoch ist und das Durchschnittseinkommen pro Person unter 3 500 Dollar (in Kaufkraft gemessen) liegt. Aus diesen Gründen wird die Auswanderung nicht aufhören und Europa weiter ein attraktives Ziel bleiben.

Die Migration wird meist mit Einkommensunterschieden erklärt. Viele ziehen daraus den Schluss, dass Wirtschaftsentwicklung der beste Weg wäre, um sie zu reduzieren. Leider ist diese Folgerung zu einfach. Tatsächlich steigt die Auswanderung aus armen Ländern oft mit wachsendem Einkommen, weil es jetzt das Geld und die Möglichkeiten gibt, um das immer noch arme Land zu verlassen. Empirische Studien haben gezeigt, dass die Auswanderung erst jenseits eines kaufkraftbereinigtem Einkommens von 7 000 bis 9 000 Dollar im Jahr wieder sinkt.

Nur in sieben von 47 Ländern südlich der Sahara liegt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf über 9000 Dollar, in 39 ist es geringer als 7 000. Sogar mit einem jährlichen Wachstum pro Kopf von zwei Prozent lägen 2030 noch 35 Länder unter dieser Schwelle. Gleichzeitig würde die Bevölkerung dieser Länder 1,05 Milliarden erreichen. Nicht jeder, der auswandern kann, tut dies auch, aber die Anzahl potenzieller Emigranten ist hoch.

Diese Zahlen mögen ernüchternd wirken. Drei Schlüsse sind daraus zu ziehen.

Wirtschaftliche Entwicklung muss in Afrika ein Kernziel im Kampf gegen Armut sein. Die G 20 betonen zu Recht, dass private Investitionen nötig sind, und Entwicklungshilfe allein weder zweckmäßig noch ausreichend ist. Eine zentrale Voraussetzung für private Investitionen sind jedoch politische Stabilität und gut funktionierende Institutionen. Ohne die geht das Potenzial des Kontinents verloren. Institutionen wie die Weltbank und die Europäische Investitionsbank (EIB) können dabei helfen, aber die Verantwortung liegt bei der regierenden Klasse der betroffenen Länder. Die EIB kann wenig erreichen, wenn ein offener militärischer Konflikt wie etwa in Nord-Mali die politische Lage destabilisiert.

Ungeachtet dieser nationalen Verantwortung hat Europa aber ein wirtschaftliches Interesse an Entwicklung. Ein wachsender Kontinent mit einer Bevölkerung von zwei Milliarden Menschen wäre ein wichtiger naher Markt für europäische Produzenten. Es ist deshalb sinnvoll, wirtschaftliche Zusammenarbeit voranzutreiben, sich dem Handel zu öffnen und technische Zusammenarbeit fortzusetzen.

Legale Wege der Migration sind ebenso wichtig wie effiziente Grenzkontrollen

Zweitens löst Entwicklung allein keine Migrationsprobleme. Es dauert mehrere Dekaden, bis die Länder das Einkommensniveau erreicht haben, bei dem Emigrationsflüsse abebben. Die Folge werden große soziale Spannungen in ganz Europa sein. Das bedeutet, dass Europa eine kohärente Strategie für mindestens die nächsten zwei Jahrzehnte benötigt, um mit dem Immigrationsdruck aus Afrika umzugehen.

Der Verweis auf die Entwicklungszusammenarbeit greift also zu kurz. Stattdessen ist eine umfassende Debatte über die richtigen politischen Instrumente nötig. Dabei geht es um legale und direkte Immigrationsrouten nach Europa, um das Geschäftsmodell der Schlepper zu untergraben. Es geht um sozioökonomische Integration der Immigranten und natürlich auch um effiziente Grenzkontrollen und Abkommen mit Grenzländern, um die illegale Migration zu beschränken. Diese Themen sind schon in Deutschland umstritten, und Konsens auf europäischem Niveau wird zweifelsfrei schwierig. Trotzdem müssen Entscheidungen auf EU-Ebene koordiniert werden. So hat die EU eine größere Verhandlungsmacht als jedes einzelne Mitgliedsland, wenn es etwa um die Frage der Rückführung illegaler Migranten nach Algerien geht.

Und drittens geht es um Frauen. Es überrascht, dass die G 20 in ihrer Initiative die Stärkung der Position der Frauen in Afrika gar nicht erwähnt. Dabei ist es evident, dass bessere Ausbildung und Frauenrechte die Geburtenrate reduzieren und dadurch den demografischen Druck mindern. Außerdem ist nachgewiesen, dass die Stärkung von Frauen förderlich für eine gerechtere Einkommensverteilung in einer wachsenden Wirtschaft ist. Die G 20 sollten Frauenrechte und Ausbildung von Frauen zu zentralen Grundsätzen ihrer Afrika-Politik machen. Konkret heißt das, dass man in Hilfsprogrammen klare Bedingungen stellen sollte. Nur wenn etwa bestimmte Ausbildungsquoten für Frauen erreicht werden und wirtschaftliche Veränderungen ermöglicht werden, sollte es Unterstützung geben. Frauenrechte sind ein zentraler Bestandteil wirtschaftlicher Entwicklung. Auch hier wird der Wandel eher langsam sein, aber ein Plan für Afrika ohne eine Stärkung der Frauenrechte wäre ein Versäumnis.

Guntram Wolff , 42, ist Ökonom und Direktor von Bruegel, dem europäischen Institut für Wirtschaftspolitik.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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