Süddeutsche Zeitung

Gastkomentar:Investoren locken

Griechenland braucht jetzt niedrigere Steuern und politische Stabilität, damit endlich mehr investiert wird in dem Land. Schuldenerleichterungen sind zweitrangig, auch wenn in der Öffentlichkeit immer genau darum gerungen wird.

Von Alexander Kritikos

Seit Februar 2015 gab es kaum ein Treffen der Euro-Gruppe, an dem die griechische Staatsschuldenkrise nicht auf der Tagesordnung gestanden hätte. Mit jedem Treffen erscheint die Situation verworrener. Zuletzt stand im Mai die Zahlung der nächsten Tranche aus dem laufenden Hilfsprogramm an, wieder einmal wurde das Geld nicht freigegeben - am Donnerstag hat es nun endlich geklappt.

Aber die Konflikte zwischen Griechenland und seinen Gläubigern schwelen weiter. Die griechische Regierung verlangt konkrete Zusagen zu Schuldenerleichterungen. Sie braucht einen ersten Verhandlungserfolg, nachdem sie beim dritten Rettungsprogramm alles unterschrieb, was man ihr vorlegte. Sie will außerdem frühzeitig testen, ob sie an den Märkten selbst wieder Anleihen begeben kann, sodass das Land 2018 nicht mehr auf ein viertes Programm angewiesen sein wird. Letzteres wünschen sich die Gläubiger auch, aber sie wollen derzeit vor allem einen Hebel behalten, um Griechenland zu weiteren Reformen zu bewegen. Dann ist da noch die deutsche Bundesregierung. Angesichts der nahen Bundestagswahl hat keine der beiden Regierungsparteien ein ernsthaftes Interesse, in Brüssel Vereinbarungen zu treffen, die einen erneuten Beschluss des Bundestags benötigen. Die Zustimmung zu Schuldenerleichterungen wäre wohl eine solche Vereinbarung.

Es fällt auf, dass bei allem weder Griechenlands Wirtschaft noch seine Bevölkerung vorkommen, die Hauptleidtragenden der anhaltenden Ungewissheit. Für sie ist es derzeit nachrangig, ob es zu einer solchen Vereinbarung kommt. Erleichterungen hat Griechenland ja längst erhalten; die Zinsen auf die griechische Staatsschuld wurden gesenkt, die Zeiträume für die Rückzahlung vieler Kredite verlängert. Dennoch herrscht bis heute der Eindruck vor, mit Griechenlands Schuldenlast von 180 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) sei bisher nichts passiert. Dass es sich dabei nur um einen Nennwert handelt, während der Kapitalwert der Schulden nach jüngsten Berechnungen bei unter 100 Prozent liegen dürfte, kommt in der politisch aufgeheizten Diskussion nicht vor.

Was die griechische Wirtschaft und Bevölkerung wirklich brauchen, sind politische Stabilität und ein besseres Investitionsklima, um mehr Anreize für Investitionen zu schaffen. Das hieße, Verhandlungen über die Freigabe von Hilfen nicht immer bis ultimo zu führen, also bis zur anstehenden nächsten Rückzahlung von Kredittranchen, wie jetzt etwa im Juli. Jedes Mal steigt die Unsicherheit über die Zahlungsfähigkeit des griechischen Staats. Geplante Investitionen bleiben dann wieder liegen, und die potenzielle Erholung der griechischen Wirtschaft verzögert sich erneut.

Die EU sollte die strengen Haushaltsvorgaben für Griechenland lockern

Zweitens braucht die griechische Wirtschaft nicht Steuererhöhungen, wie im Rahmen des dritten Rettungspakets vorgesehen, sondern Steuersenkungen. Die Belastung etwa für griechische Selbständige aus Steuern und Sozialabgaben beträgt mittlerweile 70 Prozent, die Unternehmenssteuern sind höher als in den angrenzenden Nachbarstaaten, und die hohe Umsatzsteuer tut ein Übriges. Steuersenkungen bei verbesserter Durchsetzung der Steuergesetze wäre derzeit das Gebot der Stunde, um Investitionen nach Griechenland zu locken. Derzeit werden die Unternehmen eher vergrault.

Drittens wird es Zeit, dass in Griechenland europäische Mindeststandards der sozialen Sicherung eingezogen werden. Nach einem Dutzend Kürzungen der Rente, die bislang auch zur Abfederung sozialer Schieflagen in Familien dienten, bedarf es der Einführung einer Sozialhilfe, die diesen Namen verdient. Das Ganze kann durch maßvollere Vorgaben beim Primärüberschuss (Haushaltssaldo ohne Zins und Tilgung) finanziert werden. Statt der diskutierten starren 3,5 Prozent des BIP unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung sollten die Vorgaben für den Primärüberschuss mit einer wachstumsabhängigen Komponente versehen und derzeit eher auf 1,5 Prozent gesenkt werden.

Griechenland braucht Wachstum, um nicht auch noch ein zehntes Krisenjahr zu steuern. Und dafür wären politische Stabilität und Steuersenkungen ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Alexander Kritikos, 52, ist Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Potsdam.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3547380
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.06.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.