Gastbeitrag von Michael Buback:Seit 30 Jahren nichts gehört

Zeugenaussagen nach dem Mord an Siegfried Buback sprechen für eine Frau als Täterin - die Hinweise wurden ignoriert.

Diesen dritten Beitrag in der Süddeutschen Zeitung innerhalb von drei Monaten schreibe ich, obwohl ich bemerkt habe, wie schwer es ist, sich verständlich zu machen. Aus meinem ersten Beitrag wurde gelesen, ich sei gegen einen Gnadenerweis für Christian Klar, aus dem zweiten, ich sei für eine Begnadigung. Beides trifft nicht zu, denn ich bin völlig neutral in dieser Frage und habe zu keiner Zeit versucht, dem Bundespräsidenten meine Meinung aufzudrängen. Er hat allein zu entscheiden, und er weiß von mir, dass ich jede Entscheidung respektiere. Das Gnadengesuch Klars betraf nie mein zentrales Anliegen. Ich wollte wissen, wer Wolfgang Göbel, Georg Wurster und meinen Vater am Gründonnerstag 1977 erschossen hat. Art und Umfang des Tatbeitrags von Herrn Klar, falls überhaupt ermittelbar, hätten vermutlich gar keinen Einfluss auf das Gnadenverfahren und auch keinerlei Auswirkung auf die verhängte Strafe.

Mein persönliches Anliegen, zu erfahren, wer meinen Vater und seine Begleiter getötet hat, hatte ich öffentlich gemacht und konnte, nachdem Herr Boock dieses Anliegen gehört und verstanden hatte, nicht einfach das Telefon auflegen, als er sich bei mir meldete. Ich weiß, dass für viele der Gedanke, mit einem Mörder zu sprechen, unerträglich ist, aber ich hatte keine andere Wahl, wenn ich Kenntnisse erhalten wollte. Natürlich musste ich damit rechnen, dass Herr Boock eventuell andere Interessen verfolgte. Viele sagten mir, er habe doch oft die Unwahrheit gesagt. Ich meine, dass es nicht so einfach ist, über Stunden im Gespräch mit einem Angehörigen, der doch manches weiß, zu lügen. Ein besonders wichtiger Aspekt bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit war für mich, dass Herr Boock nicht versuchte, Günter Sonnenberg als den Schützen darzustellen. Dies hätte eine besonders einfache Lösung ermöglicht. Ich hätte den Namen des vermeintlichen Täters, und Herr Sonnenberg, der bei seiner Festnahme eine schwere Kopfverletzung erlitt, könnte wohl nicht mehr belangt werden.

Es war mir klar, dass ich von Herrn Boock keine Primärinformationen erhalten konnte, da er, wie er mir auf meine Nachfrage sagte, an der Tat am Gründonnerstag nicht beteiligt war. Seine Kenntnisse bezieht er vor allem aus seiner Teilnahme an den Vorbereitungen der Attentate, die bereits 1976 im Jemen erfolgten. Dort waren nach seinen Angaben Sonnenberg und Wisniewski als Täter vorgesehen. Er habe dann später nochmals nachgefragt und aus der Antwort geschlossen, dass die Tat wie vorgesehen ausgeführt worden war. Ich möchte aber nicht ausschließen, dass Herr Boock die Antwort unzutreffend interpretiert hat oder dass er getäuscht wurde.

Seit 30 Jahren nichts gehört

Beim Versuch, die Angaben von Herrn Boock anhand damaliger Zeitungsberichte zu prüfen, bemerkten meine Frau und ich Ungereimtheiten in den Meldungen. Sie waren uns früher nicht aufgefallen. In einem Artikel vom 9./10. April 1977 lasen wir nun, 30 Jahre später, die Schilderung der Tat, wie sie ein Jugoslawe, der sich in seinem Auto direkt neben dem Dienstwagen meines Vaters befunden hatte, unmittelbar danach der Polizei gegeben hatte. Er hat die Schüsse gehört und zwei vermummte Gestalten auf einem Motorrad gesehen, dessen Kennzeichen er sich merkte. Der Augenzeuge, der im Artikel als wichtigster Zeuge bezeichnet wird, berichtete, dass die Person hinten auf dem Motorrad eine automatische Schnellfeuerwaffe im Anschlag gehalten hatte. Er meinte, dass diese Person eine Frau gewesen sein könnte.

Dies ist durchaus vereinbar mit einer Aussage, von der ich jetzt erst erfuhr und die von einem Zeugen stammt, der das mit zwei Personen besetzte, bei der Tat benutzte Motorrad bereits am Vortag in der Nähe meines Vaters gesehen und seine Beobachtungen der Polizei in einer etwa einstündigen Zeugenvernehmung noch am 7.April 1977 zu Protokoll gegeben hatte. Der Zeuge konnte die Person auf dem Soziussitz aus etwa einem Meter Entfernung beobachten. Sie sei klein und zierlich gewesen, möglicherweise eine Frau.

Die beiden Zeugenaussagen irritierten uns, da wir stets von den drei Tätern Folkerts, Klar und Sonnenberg gehört hatten, von denen keiner, soweit wir wissen, kleiner als 1,80 Meter ist. Es verblüffte uns dann, in einem Zeitungsbericht vom 14. April 1977 zu lesen, dass der jugoslawische Augenzeuge, nachdem er zuvor eine klare Tat- und Täterbeschreibung geliefert hatte, folgende Schilderung gab:

,,Ich denken, Kinder machen Spaß mit Knallerei.'' Erst nachdem er wegen eines Reifendefekts ausgestiegen sei, habe er den auf der Straße liegenden toten Fahrer meines Vaters gesehen. ,,Da war aber auch schon die Polizei da.'' Wir wundern uns über diesen Umschwung in der Wahrnehmung. Bei der Durchsicht des Urteils gegen Frau Mohnhaupt und Herrn Klar haben wir die Namen der beiden Zeugen bei den Schilderungen in Verbindung mit dem Anschlag vom Gründonnerstag 1977 nicht gefunden. Da es für die Arbeit der Ermittlungsbeamten doch eine besondere Begünstigung bedeutet, einen Zeugen in unmittelbarer Nähe der Tat zu haben, muss ich als Erstes fragen, weshalb dieser Augenzeuge, aber auch der Zeuge vom Vortag im Verfahren keine erkennbare Rolle gespielt haben.

Meine zweite Frage betrifft die Ermittlungen nach der Ergreifung von Verena Becker und Günter Sonnenberg am 3.Mai 1977 bei Singen am Hohentwiel. Frau Becker hat dabei laut einem Pressebericht vom 12. Mai 1977 mit der Maschinenpistole geschossen, die als die Waffe identifiziert wurde, mit der mein Vater und seine Begleiter getötet worden waren. Wurde eine Gegenüberstellung der in Singen gefassten Personen mit dem Augenzeugen der Tat am Gründonnerstag durchgeführt? Das Motorrad und die Helme waren ja längst gefunden, sodass damals, einen Monat nach der Tat, eine aussagekräftige Gegenüberstellung möglich gewesen wäre, die durchaus auch eine verlässliche Entlastung bezüglich der Tat am Gründonnerstag für die Verhafteten hätte ergeben können. Man hätte auch den Zeugen vom Vortag, der die Personen auf dem Motorrad aus einem Meter Entfernung gesehen hat, zu einer Gegenüberstellung bitten können. Von diesem Zeugen weiß ich, dass er seit der Aussage am 7. April 1977 nie wieder etwas von den Ermittlern gehört hat. Das erstaunt ihn noch immer und das macht mich ganz ratlos.

Die beiden Fragen richten sich an die Ermittler von damals. Da ich zu ihnen keinen Zugang habe, muss ich mich an die Bundesanwaltschaft wenden, bei der sich alle Akten befinden und der ich unsere Zweifel bereits mitgeteilt habe. Ich erhoffe mir zufriedenstellende und nachvollziehbare Antworten. Wenn ich sie nicht erhalte, dann könnte es sein, dass eine Welt für mich zusammenbricht.

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