Süddeutsche Zeitung

USA:Trumpamerica wird bleiben

Das amerikanische Selbstbild steckt in der Krise, Trumps Anhänger kämpfen verzweifelt um ihre Privilegien. Ein Amtsenthebungsverfahren wird daran nichts ändern.

Gastbeitrag von Claus Leggewie

Ist Trump Ursache oder Symptom, der Grund für Amerikas Malaise oder ein Ausdruck davon? Im ersten Fall könnte seine Amtsenthebung die USA von einem Albtraum befreien, aber das reicht eben nicht, da ein großer Teil der amerikanischen Wähler den Aufstieg der charakterlosen Figur durch ihren Stimmzettel bewirkt hat und wenn von diesen ein wiederum großer Teil fest zu ihm steht. Das tun sie nicht, obwohl er ist, wie er ist: ein zwielichtiger Narzisst, der wie ein Mafiaboss redet, und obwohl er macht, was er macht: skrupellose Klientelpolitik für reiche, weiße Männer. Sondern weil er das tut. Im Fall eines Impeachments rückte nicht nur der kaum weniger problematische Vizepräsident Mike Pence ins Oval Office nach, es bliebe auch Trumpamerica, das verkrampft gegen seinen Orientierungsverlust ankämpft und eher noch verzweifelter und bissiger würde.

Amerika war immer anders (was europäische Kennedy- und Obama-Fans stets ignoriert haben), aber der sprichwörtliche "American Exceptionalism" der US-Gesellschaft hat sich gedreht: Aus einem libertären Individualismus wurde ein von Trump in Szene gesetzter Narzissmus, aus dem grenzenlosen Aufstiegsoptimismus ein trotziges Beharren auf Besitzständen, aus religiöser Inspiration bornierte Bigotterie und aus einer benevolenten Weltmacht deren arrogante Karikatur. In der These von der amerikanischen Ausnahme haben Historiker, Soziologen und Politiker die Schriften europäischer Beobachter von Alexis de Tocqueville über Karl Marx bis Max Weber zu einem großen Mythos verarbeitet; selbst Josef Stalin soll damit erklärt haben, warum die proletarische Revolution ausgerechnet im höchstentwickelten Kapitalismus scheiterte.

Wladimir Putin rügte 2013 in einem bemerkenswerten Text in der New York Times seinen Amtskollegen Barack Obama, als der mit Bezug auf die amerikanische Ausnahme eine Intervention in Syrien in Aussicht stellte, die dann niemals stattfand: So arrogant dürfe man sich nicht über andere erheben. Putin erntete damals Zustimmung bei - Donald Trump, dessen Programm, Amerika wieder groß zu machen, den Exceptionalism zurückweist, indem er an die Stelle des leuchtenden Vorbilds seines Landes für die Welt dessen Rückzug aus ihr annonciert. Diese Seelenverwandtschaft verweist darauf, dass russische Trolle im Wahlkampf 2016 eine Stimmung anheizten, die in den USA längst verbreitet war: Der Verlust an Selbstvertrauen ist mit Trump in Großmannssucht, eine irrlichternde Politik und das Aufgeben moralischer Standards umgeschlagen.

Dass Putin und Trump Brüder im Geiste sind, verweist auf einen sachlichen Grund für die Verzagtheit Amerikas und Russlands: Ihren Absturz in die Unwägbarkeiten eines multipolaren Weltsystems haben beide Supermächte nie verkraftet. Transatlantiker warnen stets, Europa sei von der militärischen Macht der USA abhängig und dürfe die Entfremdung nicht zu weit treiben; doch diese Nibelungentreue ist riskant. Trump dürfte jede innenpolitische Schwächung mit militärischen Abenteuern und protektionistischen Alleingängen kompensieren. Sein sprunghaftes Agieren hat seinen Anhang bisher nicht zu der Einsicht gebracht, dass die wirtschaftliche Schwäche und der Verfall der Infrastruktur hausgemacht sind - ebenso wie der rapide Ansehensverlust in der Welt.

Trumps Anhänger sehen in der Vielfalt den Grund für den Niedergang der USA

So berechtigt die Untersuchung der Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf ist und so notwendig ein Amtsenthebungsverfahren bei weiteren Beweisen wäre, es waren am Ende nicht russische Hacker, die Amerika gespalten und geschwächt haben. Der Grund der Krise liegt im Schwinden des alten Selbstbilds, wonach die USA für Einwanderer attraktiv sind und aus dem kulturellen Pluralismus ihre besondere Dynamik gewinnen. Trumps Anhänger sehen in der Vielfalt den Grund für Amerikas Niedergang. Die amerikanische Ausnahme lassen sie nur gelten, solange die Suprematie der Weißen politisch, kulturell und ökonomisch garantiert ist und von Afro-Amerikanern, Hispanics oder Asiaten zahlenmäßig und durch deren gewachsenes Selbstbewusstsein nicht gefährdet ist.

Die Demokraten streiten darüber, ob man sozialpolitische oder Identitätsfragen nach vorn stellen soll, als wäre das ein echter Gegensatz. Doch nun taucht eine politische Kraft auf, die in der amerikanischen Ausnahme kaum vorgesehen war: der demokratische Sozialismus, der mit Veteranen wie Bernie Sanders und jungen Kämpferinnen wie Alexandria Ocasio-Cortez bei den Kongresswahlen im November eine Rolle spielen könnte.

Claus Leggewie, 68, ist Professor für Politikwissenschaft in Gießen.

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SZ vom 01.09.2018/vit
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