Süddeutsche Zeitung

Gastbeitrag:Sie wollen weiter

Die iranische Mittelschicht kämpft um Modernisierung, allen voran tun dies Frauen. Ohne Unterstützung von außen werden sie scheitern.

Von Katajun Amirpur

Es ist kein Zufall, dass es auch und in großem Maße Frauen sind, die gegen das Regime aufbegehren. Das war bei den großen Demonstrationen des Jahres 2009, die den Beginn der grünen Bewegung markierten, genauso. Die iranischen Frauen haben am meisten verloren in den vier Jahrzehnten seit der Revolution. Denn in Iran herrscht Geschlechter-Apartheid. Das System, das mit der Revolution von 1978/79 in Iran eingeführt wurde, hatte sich zuerst daran gemacht, die Rechte von Frauen einzuschränken. Nur Wochen nach dem Zusammenbruch des Pahlavi-Regimes wurde das fortschrittliche Familiengesetz aus dem Jahre 1967 aufgehoben und durch eines ersetzt, das auf den Vorgaben des islamischen Rechts beruhte: Das Recht auf Scheidung und das Sorgerecht geschiedener Frauen für die Kinder wurden eingeschränkt, das Mindestalter für die Verheiratung von Mädchen wurde zunächst auf dreizehn, dann auf neun Jahre herabgesetzt, Polygamie wurde erlaubt. Das Zeugnis einer Frau vor Gericht galt fortan nur halb so viel wie das eines Mannes, und bei einem Unfall mit tödlichem Ausgang erhalten die Hinterbliebenen einer Frau nur die Hälfte dessen, was als Entschädigung für ein männliches Opfer bezahlt wird. Das Leben einer Frau ist in Iran also nur halb so viel wert wie das eines Mannes.

Doch ungeachtet dieser rechtlichen Diskriminierung ist Iran heute auch ein Land, in dem zwei Drittel aller Studierenden weiblich sind. Im gesellschaftlichen Alltag wird die Geschlechter-Apartheid schon lange überwunden: Frauen halten ein Drittel aller akademischen Doktorgrade; sie werden Abgeordnete, Ärztinnen, Lehrerinnen und Bürgermeisterinnen und Polizistinnen. Und sogar die absolute Männerdomäne des Nahen Ostens haben sie erobert, den Straßenverkehr. Sie fahren Taxi, und sie werden sogar Rennfahrerinnen. Hier spielt sich auch ein Teil des Kampfs gegen den Kopftuchzwang ab: zunächst nur in den mondänen Skigebieten Nord-Teherans, inzwischen auch mitten in der Stadt, wo mehr und mehr Frauen das Kopftuch im Auto einfach fallen lassen, und sogar zuweilen auf der Straße.

Gerade weil sich auf diesem Gebiet sehr viel tut und eine große kritische Masse Veränderung will, ist die gegenwärtige Politik der Regierung Trump so destruktiv. Die Mittelschicht, die Veränderung will, wird kaputtsanktioniert. Dabei liegt hier längerfristig das größte Potenzial für Veränderung. Zum einen ist diese Schicht, vor allem die bestens ausgebildeten, aber rechtlich extrem benachteiligten Frauen, nicht länger willens, ihre Situation hinzunehmen. Zum anderen sieht auch das Regime längst, dass es auf Dauer nicht gegen diese Schicht ankommt.

Die iranische Mittelschicht wird kaputt sanktioniert

Wenn es gut ausgebildete, engagierte Menschen jedoch nicht einmal mit zwei Jobs pro Familie schaffen, eine vierköpfige Familie durchzubringen, schwinden ihre Möglichkeiten immens, auf Veränderung hinzuarbeiten. Wenn selbst ein Professor nachmittags einen zweiten Job machen muss, weil das Geld nicht reicht, fehlt er als wichtige Ressource für seine Studenten. Gerade hier, an der Universität, entstehen Ideen und Mobilisierung für Reformen. Aber an Reformen denken die Studierenden zuletzt, wenn sie nicht mal mehr wissen, woher sie das Geld für ihr Essen nehmen sollen.

Die iranische Zivilgesellschaft ist dabei hochlebendig - noch. In den Teheraner Cafés treffen sich junge Leute und diskutieren die dort ausliegenden Bücher und Zeitschriften. In der Theaterszene entstehen Stücke, bei denen man kaum versteht, wie sie an der Zensur vorbeigekommen sind: eine Produktion über Simin Daneshwar und Herta Müller. Zwei Frauen, die gegen die Diktatur anschrieben, werden hier verglichen. Tabuthemen werden in Büchern thematisiert, die dann zu Bestsellern werden. Fariba Vafis Roman über eine Frau, die freimütig erzählt, warum Mutterschaft nicht das ultimative Glück für sie bedeutet. All das hat Potenzial, eine Gesellschaft zu verändern.

Doch die US-Regierung irrt, wenn sie glaubt, Demonstranten würden das iranische Regime schon stürzen. Es hat in den vergangenen Jahren und auch jetzt gezeigt, wie weit es durchgreift, um sein System zu schützen. Und Deutschland macht sich mit einer politischen Passivität zum willigen Handlanger der Amerikaner. Zuletzt wurde sogar der iranische Wissenschaftstag abgesagt mit der Begründung, das brutale Regime nicht unterstützen zu wollen. So werden iranische Akademiker aus dem wissenschaftlichen Austausch ausgeschlossen. Genau hier, in den Universitäten, bildet sich doch eine agile, offene, westgewandte Zivilgesellschaft heraus. Es wäre jetzt wirklich an der Zeit, konstruktive Iranpolitik zu machen, um die Zivilgesellschaft zu stützen. Und sie nicht endgültig zu ruinieren.

Katajun Amirpur ist Professorin für Islamwissenschaft an der Universität zu Köln

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Quelle:
SZ vom 14.12.2019
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