Gastbeitrag:Saatgut für die Welt

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Es gibt mehr Menschen, Naturkatastrophen und schlechtere Böden: Lebensmittel dürften deshalb in den kommenden Jahrzehnten ein teures Gut werden. Die Agrarbranche reagiert mit Fusionen. Schadet oder hilft das?

Von Urs Niggli

In der Agrarbranche geht es derzeit offenbar gar nicht groß genug: Dow Chemical und Dupont, Chem China und Syngenta und jüngst Bayer und Monsanto haben sich zusammengeschlossen. Private und staatliche Anleger zahlen dafür enorme Summen. Das zeigt, welche Renditen sie sich von der Landwirtschaft erhoffen. Denn der Klimawandel, die wachsende Weltbevölkerung und der sündhaft sorglose Umgang mit den natürlichen Ressourcen Boden, Biodiversität, Wasser und Luft werden die Preise für Lebensmittel in den nächsten 30 Jahren in die Höhe treiben.

Für viele Menschen stehen die Agrarmultis symbolisch für sich abzeichnende globale Katastrophen. Namhafte Wissenschaftler sehen die Stabilität des Planeten ernsthaft gefährdet, und die intensive Landwirtschaft ist der wichtigste Verursacher. Der Ökolandbau oder die weniger streng regulierte Agrarökologie werden bei den neuen Zielen nachhaltiger Entwicklung der Vereinten Nationen nur am Rande aufgeführt. Dabei würden sie die globalen Umweltprobleme lösen.

Nur eine Halbierung des Pro-Kopf-Fleisch-Verbrauchs und der Verschwendung von Lebensmitteln könnten nach neuesten Studien ökologischeren Anbaumethoden zum Durchbruch verhelfen. Doch wie steuert man das Verhalten von Millionen von Unternehmen und Milliarden von Menschen? In der Theorie gilt heute die Suffizienz als möglicher Lösungsansatz, das heißt die bewusste Mäßigung als steuerndes Element der Effizienz. "Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier", sagte Mahatma Gandhi. Die Suffizienz ist aber bis heute ein moralischer Imperativ geblieben. Um sie umzusetzen, müssten sich Gesellschaft und Industrie radikal ändern. Die setzen heute zwar auf Effizienz, verführen aber zu höherem Konsum.

Die neuen Giganten werden mit dem Anspruch antreten, in Zukunft einen noch größeren Beitrag für eine Landwirtschaft zu leisten, welche die Menschheit nachhaltig ernährt. Dazu wollen sie auch ihre Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen zusammenlegen, um mit neuen Lösungen Märkte zu revolutionieren. Was ist von diesem Anspruch zu halten?

Als Benchmark für eine echt nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung dient nach wie vor der Weltagrarbericht aus dem Jahr 2009, aber die Industrie distanziert sich bis heute von den Empfehlungen der Wissenschaftler, Regierungsvertreter und Nichtregierungsorganisationen. Demnach tragen regional und sogar kleinräumig handelnde Landwirtinnen und Landwirte mit ihrem Wissen über Wetterkapriolen, Klimaveränderungen, Bodeneigenschaften, indigene Pflanzen und Tiere sowie kulturelle Traditionen mehr zur Ernährungssicherheit bei als globale Hightech-Lösungen. Sie wissen, wie man klug und ohne sich zu verschulden intensivieren kann. Und sie können auch abschätzen, welche Techniken ihnen dienen und welche nicht. Oft sind Bauernkooperativen, die mit lokalen Nichtregierungsorganisationen und Verbrauchern zusammenarbeiten, sehr erfolgreich, haben eine hohe Produktivität und ein gutes Einkommen. Kleinbauern, welche auf diese Art und Weise ökologisch intensivieren, sind nicht die typische Klientel für die teuren Produkte und Dienstleistungen der Agrarindustrie. Und doch sind diese Bauern die entscheidende Gruppe, um Armut und Unterernährung in ländlichen Gebieten rasch zu überwinden.

Eine Landwirtschaft, die produktiv und ökologisch stabil ist, braucht Vielfalt

Kapitalintensive globale Lösungen können hingegen verheerende Folgen haben. Sie zerstören wertvolle Landschaften und bedrängen Kleinbauern, die Lebensmittel für den heimischen Markt erzeugen statt Viehfutter für billiges Fleisch in Europa. Die riesigen Anbauflächen von Sojabohnen auf den einst kargen Böden der Savannen von Mato Grosso in Brasilien sind gute Beispiele von industriell skalierter Produktion. Eine Landwirtschaft, die langfristig produktiv und ökologisch stabil ist, braucht in erster Linie Vielfalt: bei den Bauern, den Zulieferern von angepasster Technik und Saatgut und bei den Abnehmern ihrer Produkte.

Global agierende Konzerne könnten allerdings mit ihrer Forschungsmacht technologische Lösungen vorantreiben. Die IT-Branche hat das vorgemacht. Heute kaufen afrikanische Bauern mit einfachen Handys Saatgut, verkaufen landwirtschaftliche Produkte, tätigen einfache Bankgeschäfte und sind durch SMS-Dienste stets informiert. Es wäre eine Chance, wenn die Agrarkonzerne ihr beträchtliches Innovationspotenzial auch zum Nutzen einer vielfältigen und nachhaltigen Landwirtschaft einsetzen würden.

In den letzten 30 Jahren haben Klein- und Kleinstfirmen viele neue Ideen gehabt. So wurde der biologische Pflanzenschutz vorangetrieben oder die Züchtung und Vermehrung von Saatgut für den Ökolandbau. Die großen Agrarkonzerne haben solche Nischen zwar zugekauft, aber kein Herzblut in solch zukunftsträchtige Entwicklungen gesteckt. Zu dominant war die Strategie, mit Blockbustern den Markt zu durchdringen. Denn Diversifizierung ist nicht lukrativ.

Derzeit ist viel im Fluss, dank der Grundlagenforschung explodiert das Wissen auch in der Landwirtschaft. Neue Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas9 drängen auf den Markt, eine differenzierte Beurteilung der Gentechnik täte Not. Pflanzen, welchen verloren gegangene Eigenschaften ihrer wilden Verwandten wieder zurückgegeben werden (zum Beispiel Widerstandskraft gegenüber Krankheiten, sodass chemische Fungizide eingespart werden), müssten anders beurteilt werden als "synthetische" Pflanzen oder gar Ausrottungsstrategien für unerwünschte Stechmücken oder invasive Unkrautpflanzen. Am Umgang mit solchen Innovationen und an der Qualität der Dialoge mit der Bevölkerung wird sich zeigen, ob die neuen Agrargiganten Fluch oder Segen für die Menschheit sein können.

Urs Niggli , 63, ist Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick.

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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