Gastbeitrag:Die Ordnung der Welt

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Eine Allianz williger Staaten muss internationale Regeln ersinnen, ohne den Verdacht zu erwecken, dass es dabei um westliche Dominanz geht.

Von Volker Perthes

Die internationale Ordnung steht unter Druck. Nicht nur die USA unter ihrem gegenwärtigen Präsidenten, auch Russland und China stellen völkerrechtliche Normen und Prinzipien wie das Gewaltverbot und die territoriale Integrität anderer Staaten infrage, schwächen die Vereinten Nationen (UN) und andere internationale Organisationen oder missachten internationale Abmachungen. Washington, Moskau und Peking zeigen wenig Interesse daran, Regeln zu bewahren, die ihre Handlungsfreiheit einschränken - ganz gleich, ob es sich um den INF-Vertrag oder die internationale Schiedsgerichtsbarkeit handelt.

Mittlere und kleinere Mächte dagegen wie Deutschland und die EU haben ein vitales Interesse an einer multilateralen, regelbasierten Ordnung. Denn in einem ausschließlich machtbasierten System verlieren sie unweigerlich. Deutschland und Frankreich wollen deshalb im Herbst bei der UN-Generalversammlung eine "Allianz für Multilateralismus" lancieren, möglichst zusammen mit Staaten wie Australien, Indien, Indonesien, Japan oder Kanada. Interesse daran gibt es durchaus.

Allerdings muss eine solche Initiative erstens möglichst konkret sein: Bekenntnisse zum Multilateralismus sind ja selbst noch kein multilaterales Handeln. Sie darf zweitens nicht nur auf die Wahrung bestehender Ordnungsstrukturen zielen, sondern muss auch die Interessen von Staaten ansprechen, die Veränderungen anmahnen, etwa bei Stimmanteilen in internationalen Organisationen. Potenzielle Partner dürfen drittens nicht schon von Begriffen abgeschreckt werden, die in zahlreichen Ländern als Synonym für westliche Dominanz gelten.

So spricht man in Europa, Nordamerika oder Japan eben gern von der "liberalen Weltordnung", oft mit Bedauern, dass gerade Washington diese heute aktiv zu unterminieren scheint. Der Begriff bezieht sich tatsächlich auf die von den USA errichtete Ordnung. Dazu gehören das UN-System, eine grundsätzliche Orientierung auf ökonomische und politische Freiheit sowie amerikanisch geführte oder inspirierte Organisationen wie Nato oder EU. Die größte Strahlkraft hatte diese Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges, als freier Handel und freie Kapitalflüsse, aber auch demokratische Regierungsformen zur Norm zu werden schienen. Bestimmte "liberale" Elemente wie die internationale Schutzverantwortung (R2P) oder der Internationale Strafgerichtshof kamen später dazu. Allerdings wurden zugleich auch militärische Interventionen - nicht zuletzt die Irak-Invasion von 2003 - als Beitrag propagiert, Demokratie zu verbreiten. Das hat dem Ansehen "liberaler" Ordnungsvorstellungen im Rest der Welt nachhaltig geschadet.

Grundlegend in der Staatenwelt akzeptiert sind weiterhin die UN-Charta, die Menschenrechtskonventionen, die Freiheit der Meere, die grundlegenden Regeln der Welthandelsorganisation, völkerrechtliche Verträge wie der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag und das Klimaabkommen oder bindende Entscheidungen des Sicherheitsrats. Zudem finden sich in fast allen Resolutionen des Sicherheitsrats zur Lösung innerstaatlicher Konflikte Bekenntnisse zu Rechtsstaatlichkeit und freien Wahlen. Hier kann man von einer allgemeinen, wenngleich in der Praxis geschwächten Norm sprechen. Interessenbasierte Auslegungen internationaler Normen und Regeln wird es immer geben.

Nicht wenige Staaten allerdings, die durchaus für eine effektive, regelbasierte Ordnung eintreten, sind zumindest skeptisch, was eine Festschreibung "liberaler" Elemente betrifft. In westlichen Industriestaaten wird immer öfter ein Schutz vor den wirtschaftlichen Folgen der Globalisierung verlangt. Aufstrebenden Ökonomien dagegen geht es eher darum, ihre politisch-gesellschaftliche Ordnung gegen externe Einflussnahme abzusichern. Das betrifft auch Einrichtungen wie den Internationalen Strafgerichtshof.

"Wenn Sie in Südostasien von der regelbasierten internationalen Ordnung sprechen," so ein einflussreicher politischer Berater aus Singapur, "kann niemand weglaufen. Das ist anschlussfähig." Man kürze das sogar regelmäßig ab: RBO - rules-based order. "Aber liberale Ordnung? Das ist der schnellste Weg, eine Diskussion zu beenden."

Anschlussfähigkeit ist in der Tat entscheidend: Wenn Deutschland und gleichgesinnte Staaten die multilaterale Ordnung wahren und entwickeln wollen, müssen sie einen breitestmöglichen Konsens finden. Übereinstimmung gibt es etwa bei International Rule of Law als Leitprinzip einer regelbasierten Ordnung. Mit Rechtsstaatlichkeit ist das schlecht übersetzt, weil es ja um die Geltung des Rechts im internationalen, nicht im nationalen Raum geht.

Auch rivalisierende Staaten mit unterschiedlichen politischen Systemen sind in der Regel bereit, sich aus eigenem Interesse bestimmten gemeinsamen Spielregeln zu unterwerfen. Manchmal sind das nur vage Leitlinien wie jüngst beim internationalen Migrationspakt. Zugleich werden die meisten Staaten ihre Souveränität in Fragen der inneren Ordnung gegen jeden vermuteten Eingriff von außen verteidigen.

Internationale Abmachungen und Verträge müssen in jedem Fall verhandelt werden, sie spiegeln die internationalen Kräfteverhältnisse wider und sind auch revidierbar. In ihrem Zusammenspiel geben sie allen Parteien mehr Sicherheit. Deshalb treten auch Staaten, die sich mit liberalen Prinzipien schwertun, für solche Ordnungselemente ein. Kleinere Staaten setzen zwar oft auf militärische Schutzgarantien größerer Akteure, sehen darüber hinaus aber in internationalen Regeln eine Absicherung gegen regionale Großmächte, in Asien vor allem gegen China. Peking versucht schließlich immer deutlicher, eigene Regeln zu setzen. Aber auch die chinesische Führung sieht, dass international vereinbarte Regeln mehr Stabilität und Vorhersehbarkeit schaffen, und verhandelt zunehmend selbstbewusst über neue und alte Ordnungselemente wie etwa das Klimaregime oder die Welthandelsordnung.

Die diplomatische Kunst des Möglichen liegt darin, mit einer möglichst inklusiven Allianz multilateral gesinnter Staaten die Regelgebundenheit internationaler Beziehungen zu stärken. Dabei darf sie aber nicht den Eindruck erwecken, dass es auch um den Export der "richtigen" inneren Ordnung von Staaten geht.

Europa muss vor allem seine eigene, auf liberale und demokratische Werte verpflichtete Ordnung gegen innere und äußere Angriffe stark machen. Wer aber international nur die liberale Ordnung vor sich herträgt, macht diese zum Feind der regelbasierten.

Zu konkreten, sinnvollen Schritten zur Stärkung internationaler Rule of Law gehören etwa Gespräche über Normen und Prinzipien für noch nicht regulierte Handlungsfelder - Cyber, Weltraum, neue Waffensysteme oder künstliche Intelligenz. Im besten Fall schafft man damit die Grundlage für künftige Regelwerke, an die auch die Großmächte sich halten. Regelwidriges Verhalten treibt dann immerhin die politischen Kosten in die Höhe - zumindest durch den Verlust von Ansehen und Partnern.

Volker Perthes, 61, leitet die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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