Ganztagsbetreuung:Intensives Schneckentempo

Bund und Länder streiten sich, wer den Ausbau von Hortplätzen bezahlen soll. Dabei lohnt er sich finanziell. Und ist längst überfällig, um der Realität in Familien gerecht zu werden.

Von Henrike Roßbach

Wenn übers Geld gestritten wird, ist klar: Ein politisches Projekt nähert sich der entscheidenden Phase. Die Phrase zur Phase ist gemeinhin die, man sei "in intensiven Gesprächen". Wahlweise mit dem Koalitionspartner oder, was besonders viele Gespräche verspricht, mit den Ländern. Aktuell im intensiven Gespräch: die Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern. Auf die sollen Eltern von 2025 an einen Rechtsanspruch haben, so steht es im Koalitionsvertrag. Nur leider ist es so, dass der Bund für die Betreuung von Grundschulkindern gar nicht zuständig ist, weshalb die Länder wissen wollen, wer hier eigentlich bei wem was bestellt - und wer zahlt.

Dass es teuer wird, ist unstrittig. Das Deutsche Jugendinstitut rechnet im teuersten Szenario mit Investitionen von bis zu 7,5 Milliarden Euro, plus Betriebskosten von 4,5 Milliarden Euro im Jahr. Dass der Bund sich beteiligen wird, ist ebenfalls klar; zwei Milliarden sind eingeplant, als Starthilfe. Und schließlich ist man sich noch einigermaßen einig darüber, dass die Ganztagsbetreuung schon irgendwie notwendig und vermutlich auch ganz gut wäre. Damit allerdings wäre der Konsensvorrat ziemlich erschöpft. Die Länder, die zuletzt recht freimütig Milliarden in niedrigere Kitagebühren gesteckt haben statt ausschließlich in mehr Qualität, sehen sich finanziell überfordert. Und die Bundesfamilienministerin muss es als Erfolg verkaufen, dass man sich nach intensiven Gesprächen nun schon mal einig sei, was mit "ganztags" eigentlich gemeint ist.

Nötig wären neue, weiter reichende Projekte wie die Familienarbeitszeit

Nun haben Ökonomen ausgerechnet, dass die Kosten für mehr Ganztagsplätze an Grundschulen sich zum Teil selbst refinanzieren, ganz einfach weil Mütter dann mehr arbeiten können. Spätestens jetzt ist es vollkommen unverständlich, dass im Schneckentempo auf ein Ziel zugekrochen wird, das man eigentlich schon viel früher hätte erreichen müssen - in einer Welt, in der immer mehr Mütter arbeiten wollen, sollen und oft müssen, in der Fachkräfte knapp und Bildungschancen ungerecht verteilt sind. Die Welt hat sich verändert, und mit ihr die Lebenswirklichkeit der Familien. Es ist mitnichten "der Bund", der hier etwas bei den Ländern bestellt, wie die bayerische Familienministerin vor einiger Zeit murrte. Es sind die Eltern, die etwas bestellen, und zwar völlig zu Recht.

Natürlich ist es nicht trivial, im Kompetenz- und Finanzgeflecht zwischen Bund, Ländern und Gemeinden bis zu einer Million zusätzliche Betreuungsplätze zu schaffen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass aus der Ganztagsbetreuung von Schulkindern keine Ganztagsverwahrung wird. Erzieherinnen sind knapp, Handwerker auch, und trotzdem muss gebaut werden, müssen Küchen, Horträume, Essenssäle entstehen, müssen Fachkräfte ausgebildet, eingestellt und anständig bezahlt werden. Es gibt schlicht keine Alternative.

Eigentlich wäre es sogar dringend notwendig, sich endlich neuen, noch viel weitergehenden Projekten zu widmen - gemessen daran, wie ausgeprägt der Wunsch von Eltern heute ist, sich Job und Familie anders aufzuteilen als früher. Einer Familienarbeitszeit zum Beispiel, mehr Vätermonaten beim Elterngeld oder individuellen, vom Arbeitgeber unabhängigen Lebensarbeitszeitkonten. Dass Frauen nicht nur Mütter und Männer auch Väter sein wollen, ist eine komplexe Herausforderung. Um darauf Antworten zu finden, wären wirklich intensive politische Gespräche nötig. Am besten jetzt.

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