Gabriel und die SPD:Geschichte einer Entfremdung

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Der erfolgreiche Außenminister muss aus dem Amt weichen, weil er sich heillos mit seiner Partei zerstritten hat. Wie es so weit kommen konnte.

Von Stefan Braun, Berlin, und Benedikt Peters

Jetzt ist es also amtlich: Sigmar Gabriel, Außenminister, Vizekanzler, Ex-Parteichef wird weder der nächsten Regierung noch der Führung der SPD länger angehören. Die Botschaft von Andrea Nahles und Olaf Scholz am Donnerstagmorgen war eindeutig: Gabriel ist raus.

Das ist das Ende einer politischen Ära. Gabriel war über Jahre einer der einflussreichsten Akteure der Republik, entschlossen hatte er die SPD 2013 in die große Koalition geführt, eng war seine Zusammenarbeit mit Kanzlerin Angela Merkel. Gute sieben Jahre war er SPD-Chef, so lange wie keiner seit Willy Brandt.

Und doch kam das Aus für den 58-Jährigen nicht mehr überraschend. In den letzten Wochen hatte sich abgezeichnet, dass es nicht weitergehen würde. Gabriel, der homo politicus, reagierte trotz Enttäuschung gefasst.

Er hat es sich nach und nach mit den Mächtigen in der SPD verdorben

Nun trifft ihn das gleiche Schicksal wie Cem Özdemir: Abtreten zu müssen, wenn es sich besonders schön anfühlt. Und man kann schon ahnen, warum Gabriel beim Publikum so beliebt war. Das hing daran, dass er als Außenminister erfrischend frech wirkte, weil er im Gegensatz zu seinem Vorgänger Frank-Walter Steinmeier deutlicher aussprach, was er dachte. Das fanden auch die Diplomaten im Auswärtigen Amt anfänglich ganz erleichternd.

Wichtiger aber waren wahrscheinlich noch zwei andere Dinge: Er stand eben nicht mehr im Zentrum der großen Sinnsuche. Er war nicht mehr Mittelpunkt im SPD-internen Streiten. Das Bild vom strengen, oft einsam und erratisch entscheidenden Vorsitzenden verblasste angesichts seiner Auftritte als Außenminister. Dazu kam, dass Gabriel auch Auftritte als Menschenfänger gelangen. Er konnte nach einem Besuch im Weißen Haus auf der Straße überraschend auf eine Gruppe deutscher Soldaten treffen - und mit ihnen binnen Minuten in ein zugewandt-freundschaftliches Gespräch verfallen. Genau das Gleiche war ihm ein paar Stunden vorher schon einmal gelungen, als er auf der Kunst-Biennale in Venedig den deutschen Pavillon eröffnete. Vollkommen anderes Publikum, vollkommen anderes Thema - trotzdem war Gabriel in der Lage, die Leute durch ein paar kluge Sätze für sich einzunehmen. Es ist eine Kunst, so auf Menschen zuzugehen.

Das freilich war nur die eine Seite. Die andere waren seine vergifteten Attacken gegen Martin Schulz. Unvergessen, wie er diesen im Streit um das Außenministeramt attackierte. Zu der anderen Seite zählt auch, wie Gabriel nach der geglückten Freilassung von Deniz Yücel seine eigene Rolle so sehr betonte, dass man das Gefühl bekam, da spreche doch wieder einer vor allem über sich selbst.

Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte, hilft ein Blick zurück. September 2009, die SPD stürzt bei der Bundestagswahl auf das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Gabriel soll die Partei wieder aufrichten. Jubel auf dem Bundesparteitag in Dresden im November, als Gabriel in seiner Bewerbungsrede fordert: "Wir müssen raus ins Leben; da, wo es laut ist; da, wo es brodelt; da, wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt." Mit 94,2 Prozent der Stimmen wird er gewählt. Dieselben Delegierten machen am gleichen Tag Andrea Nahles zu seiner Generalsekretärin.

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