Gabriel nach Mitgliedervotum:Superparteichef, Superminister

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Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel spricht Anfang Dezember auf der Regionalkonferenz der SPD Hessen-Nord zum Koalitionsvertrag. (Foto: dpa)

Der SPD-Chef hat es allen Kritikern gezeigt. Die Mitglieder stimmen für die große Koalition, überwinden zugleich ihr Schröder-Trauma und machen Gabriel zum ebenbürtigen Gegenspieler zu Bundeskanzlerin Merkel. Nur ob er sich das richtige Amt ausgesucht hat, wird noch bezweifelt.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es ist vollbracht. Das Experiment ist geglückt. Zum ersten Mal in der bundesdeutschen Parteiengeschichte durften die Mitglieder einer Partei über eine Koalition entscheiden. Und sie haben sich überzeugen lassen. 76 Prozent der SPD-Mitglieder stimmten einer großen Koalition mit CDU und CSU zu. Noch beeindruckender aber ist die enorme Beteiligungsquote: 78 Prozent der Mitglieder gaben ihre Stimme ab.

Eine solch breite Legitimierung konnte bisher keine Partei vorweisen. In der Regel entscheiden Parteitage oder lediglich Parteivorstände. Das Ergebnis ist der Lohn für einen über zwei Monate ausgehandelten Koalitionsvertrag, von dem die Mitglieder der SPD offenbar glauben, dass dort mehr SPD drin steckt, als sie mit den mageren 25,6 Prozent vom Wahltag zu erreichen hoffen durften.

Das Mitgliedervotum war die Idee des Parteivorsitzenden der SPD, Sigmar Gabriel. Der Erfolg ist auch sein Erfolg. Die Zustimmung zum Koalitionsvertrag ist auch eine Zustimmung zu ihm als Person. Das Mitgliedervotum macht ihn zu einem ebenbürtigen Gegenspieler von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aus dem einst belächelten Siggi Pop ist Sigmar Gabriel, der unangefochtene Parteichef geworden.

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Zu laut, zu unstet, zu sehr auf das eigene Fortkommen fixiert - das war lange das Image von Sigmar Gabriel. Doch dann konnte sich der SPD-Chef profilieren.

Als Gabriel nach der Wahl erklärte, ohne Zustimmung der Mitglieder seiner Partei werde es keine Koalition geben, waren viele skeptisch. Nach einem harten Wahlkampf gegen die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und mit der Erfahrung aus der großen Koalition von 2005 bis 2009 im Nacken schien es unwahrscheinlich, dass die Mitglieder der SPD ihre Partei erneut in eine Koalition mit Merkel schicken würden. Tief saß die Vorstellung, Merkel habe die SPD damals im Alleingang auf 23 Prozent heruntergewirtschaftet.

Gabriel hat erkannt: Ohne die Basis zu beteiligen, braucht er Verhandlungen mit der Union gar nicht erst aufnehmen.

Als richtig hat sich auch herausgestellt, die Koalitionsverhandlungen lange und intensiv zu führen. Im Grunde war es ein großer Mediationsprozess. Je länger die Unterhändler miteinander am Tisch saßen, desto mehr wuchs ein gegenseitiges Verständnis heran, das seit dem Ende der großen Koalition 2009 verloren gegangen war. Vor allem die SPD-Vertreter konnten danach ohne Gewissensbisse in der Mitgliedschaft für die Koalition werben.

Nicht zu vergessen: Mit dem Votum hat Gabriel der Partei geholfen, ihr Gerhard-Schröder-Trauma zu überwinden. Der hat ab 2003 als Kanzler die Agenda 2010 in Basta-Manier durchgeboxt. Ohne Rücksicht auf Verluste. So richtig die Reformen aus heutiger Sicht gewesen sein mögen, sie und Schröders Brachial-Politik haben zur Entmachtung der SPD und ihre katastrophalen Wahlergebnisse von 2009 und 2013 erheblich beigetragen. Nach dem Mitgliedervotum dürfte die Partei schon deshalb wieder versöhnt sein, weil sich ihre Mitglieder dank eines höchst demokratischen Verfahrens gehört, beteiligt und damit wertgeschätzt fühlen können.

Der Parteichef ist auf einer Tour de Gabriel von Regionalkonferenz zu Regionalkonferenz geeilt und hat um die Zustimmung gekämpft, als hinge das politische Überleben der SPD davon ab. Gabriel ist keinem Streit aus dem Weg gegangen. Auch nicht mit den Jusos, die sich auf ihrem Bundeskongress klar gegen die Koalition gestemmt haben.

Sie und alle anderen verbliebenen Kritiker sind von der eigenen Basis überstimmt worden. Es war ein faires Spiel. Gabriel hat es gewonnen. Er ist damit auf dem vorläufigen Gipfel seiner Macht angekommen. Er wird es da oben eine Zeitlang gut aushalten können. Wie lange, darüber entscheidet auch, was er in seinem künftigen Ministeramt durchsetzt und wie er sich als Vize-Kanzler gegenüber Angela Merkel positioniert.

Angeblich will Gabriel ein Superministerium für Wirtschaft und Energie führen. Als Umweltminister in der großen Koalition hatte er schon einmal Verantwortung über Energiefragen. Damals musste er sie sich mit von der CSU gestellten Wirtschaftsministern teilen, was regelmäßig zu Streit führte. Jetzt scheint er die Energiefragen alleinverantwortlich bearbeiten zu wollen.

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Ob das machtpolitisch die richtige Entscheidung ist, muss sich erst noch herausstellen. Die Energiewende ist eine immense Aufgabe. Mit den Ländern und den Energiekonzernen stehen viele machtvolle Spieler auf dem Feld. Gabriel könnte am Ende der sein, der immer wieder steigende Energiepreise zu erklären hat. Nicht gerade eine wahlkampffeste Ausgangsposition.

Dafür verzichtet die SPD auf das Finanzressort. Es ist das mächtigste Amt nach dem des Kanzlers. Gabriel schlägt es aus. Womöglich weil er seine Fähigkeiten woanders sieht.

Gabriel setzt wie schon mit dem Mitgliedervotum auf volles Risiko. Er kann viel gewinnen, wenn er die Energiewende gut umsetzt. Aber alles verlieren, wenn es schief geht.

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