Man nennt ihn Bibi, und das klingt ziemlich niedlich. "König Bibi" sagen manche, weil er ja jetzt schon so lange herrscht über sein Reich zwischen Mittelmeer und Jordan. Doch wenn man - nomen est omen - mit einem Beinamen wirklich ermessen wollte, wie Israels Premierminister Politik betreibt, dann könnte man ihn durchaus Wladimir Tayyip Netanjahu nennen. Denn wie Putin in Russland und Erdoğan in der Türkei krempelt auch er sein Land um, untergräbt die alten Werte, gefährdet die Demokratie. Seine Gegner bekommen das schon lange zu spüren. Nun sind auch die Freunde dran.
Sigmar Gabriel zum Beispiel. Dass Netanjahu ein Treffen mit dem deutschen Außenminister platzen lässt, weil der auf seiner Israel-Reise auch noch mit linken Vertretern der Zivilgesellschaft zusammenkommt, ist ein Eklat, ein Skandal, ein Tiefpunkt in den deutsch-israelischen Beziehungen.
Doch überraschend ist das alles gewiss nicht, und ganz bestimmt ist es wohl kalkuliert. Denn wie jeder Populist setzt der Jerusalemer Regierungschef mit diesem Paukenschlag vor allem aufs innenpolitische Echo. In seinem rechten Lager darf er sich bei solcher Kraftmeierei des johlenden Beifalls sicher sein.
Sigmar Gabriel:Eklat bei Israel-Reise
Premier Netanjahu lässt einen Termin mit dem Außenminister platzen, weil dieser an einem Treffen mit Menschenrechtsgruppen festhält.
Seit seiner ersten Wahl zum Premier vor mehr als 20 Jahren hat Netanjahu die Politik und die politische Kultur in Israel nachhaltig verändert. Das erste Opfer war der Friedensprozess mit den Palästinensern, der zielstrebig dem ideologisch aufgeladenen Siedlungsprojekt in den besetzten Gebieten geopfert wurde.
Im zweiten Schritt dann wurde die Axt im Innern angesetzt, bei Friedens- und Menschenrechtsgruppen wie "Peace Now", "B'Tselem" und "Breaking the Silence". Sie werden seit geraumer Zeit mit absurden Gesetzen drangsaliert, mit Auftrittsverboten belegt und zu Verrätern gestempelt - nur weil sie ein anderes Israel wollen als die Rechten.
"Frieden" als Schimpfwort
Gezielt ist aus der Regierung heraus ein Klima geschaffen worden, in dem das Wort "Frieden" zum Schimpfwort mutierte. Linke und liberale Kräfte werden nicht nur ins Abseits gedrängt, sondern bisweilen sogar bedroht. Spätestens seit dem Kriegssommer 2014, als in Tel Aviv die letzten verbliebenen Demonstranten gegen den Waffengang in Gaza von einem rechten Mob vermöbelt wurden, war diese Entwicklung zu erkennen.
Doch so genau wollte wohl niemand hinsehen bei Israels Freunden im Ausland. Dabei hätte jedem klar sein müssen, dass eine Konfrontation nicht zu vermeiden ist. Schließlich werden die bedrängten israelischen Friedens- und Menschenrechtsgruppen zu guten Teilen - und mit guten Gründen - von der EU und auch aus Mitteln des deutschen Auswärtigen Amts finanziert.
Nun ist es zur Kollision gekommen, Netanjahu hat sie herbeigeführt mit seiner rüden Gesprächsabsage - und man sollte ihm dafür dankbar sein. Denn endlich gibt es die Chance auf mehr Ehrlichkeit im deutsch-israelischen Verhältnis.
Die Pflege dieser Beziehungen ist vor dem Hintergrund des Holocaust gewiss auf ewig der heikelste Akt der deutschen Diplomatie. An der deutschen Verantwortung für Israel darf es keinen Zweifel geben. Doch es ist durchaus an der Zeit zu fragen, wie Deutschland dieser Verantwortung gerecht werden kann, wenn in Jerusalem eine Regierung am Werk ist, die weit abrückt von gemeinsamen Werten.
Zum Glück ist Gabriel nicht eingeknickt
Bislang galt die Maxime, dass alles, was aus Israel kommt, mitgetragen oder wenigstens ertragen wird. Der Dissens beim Thema Siedlungsbau - wegmoderiert von Kanzlerin Angela Merkel mit der Floskel, man sei sich einig, uneins zu sein. Die Attacken gegen die Menschenrechtsorganisationen - höchstens ein Thema für Hintergrundgespräche. Als Berlin jüngst aus Ärger über ein neues Siedlungsgesetz die Regierungskonsultationen absagte, wurde dies verlogen mit Terminschwierigkeiten im Wahljahr begründet.
Netanjahu mag aus dieser Leisetreterei gefolgert haben, dass er nun auch Gabriel vom Treffen mit den linken Gruppen abhalten kann, wenn er nur anständig droht. Zum Glück jedoch ist Gabriel nicht eingeknickt. Er hat gezeigt, dass man bei einer Reise nach Jerusalem auch mal zwischen den Stühlen sitzen kann, ohne zu verlieren. Gleich bei seinem ersten Auftritt als Außenminister hat er also mehr Mut bewiesen als seine Vorgänger - und mehr Verantwortung Israel gegenüber.
Denn bei aller Dominanz Netanjahus gibt es auch noch ein Israel jenseits von "Bibistan". Vertreten wird es nicht nur von jenen Gruppen, auf deren Einschätzung Gabriel zu Recht nicht verzichten wollte. Zählen kann man dabei auch noch auf die Opposition im Parlament und auf den aufrechten Staatspräsidenten Reuven Rivlin. Der hat Gabriel am Dienstag in Jerusalem freundlich empfangen. Dieses Israel sollte nicht alleingelassen werden.